Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
lauschen, dann fasste sie sich ein Herz und wählte die Durchwahlnummer, die sie nur allzu gut kannte.
»Voss, Mordinspektion, Büro Kommissar Rath.«
Mist.
»Ritter, Inspektion G. Kommissar Rath bitte«, sagte sie und versuchte, möglichst geschäftsmäßig zu klingen.
»Der Herr Kommissar ist nicht an seinem Platz. Kann ich ihm etwas ausrichten?«
»Nicht nötig, ich versuche es später noch einmal.«
Charly legte auf. Verdammt! War es denn so schwierig, miteinander zu reden, wenn man im selben Gebäude arbeitete? Und für diesen dämlichen Anruf hatte sie ihre Kollegin nun vor die Tür geschickt!
Sie versuchte, sich wieder ihrer Akte zuzuwenden, doch sie merkte, wie ihre Gedanken erneut abschweiften.
Das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte, und Charly zuckte zusammen. Ob er sich hatte verleugnen lassen und nun zurückrief?
»Ritter, Inspektion G«, meldete sie sich vorschriftsmäßig, doch ihr Herz pochte.
»Gennat hier«, hörte sie in der Leitung, und ihr Herz schlug wieder langsamer. »Ich wollte es nicht versäumen, Ihnen alles Gute zum Start in Ihr Kommissaranwärterjahr zu wünschen.«
»Vielen Dank, Herr Kriminalrat«, sagte Charly artig. Sie musste sich Mühe geben, nicht allzu enttäuscht zu klingen. Sie schätzte Gennat, ja, sie vergötterte ihren alten Chef beinahe, und sie wusste, dass solch ein Anruf nicht selbstverständlich war, beinahe einem Ritterschlag gleichkam, dennoch konnte sie das in diesem Augenblick nicht würdigen.
»Ich denke, ich spreche im Namen der Inspektion A, wenn ich Ihnen sage, dass wir es sehr bedauern, dass Sie nicht mehr in der Mordinspektion arbeiten.«
»Das Bedauern ist ganz auf meiner Seite. Aber an der Inspektionseinteilung der Berliner Kriminalpolizei kann man nun einmal nichts ändern.«
»Nein, kann man nicht«, sagte Gennat, »nicht einmal ich.« Er räusperte sich, bevor er weitersprach. »Aber ich könnte Ihnen ein Angebot machen, Charly. Wenn Sie einverstanden sind, werde ich mit Ihrer Vorgesetzten sprechen. Und wie ich Frau Wieking kenne, dürfte sie nichts dagegen einzuwenden haben.«
»Was für ein Angebot, Herr Kriminalrat?«
Als Gennat sagte, was er ihr vorschlagen wollte, war Charly froh, dass Karin van Almsick ihr in diesem Moment nicht gegenübersaß.
8
D ie Vernehmungen hatten ihre Mittagspause aufgefressen. Wider Erwarten hatte Gennat ihnen doch keine zusätzlichen Leute zur Verfügung gestellt, nicht einmal einen Kommissaranwärter. So hatte Rath auf dem Weg zum Potsdamer Platz für eine Bratwurst mit Rotkohl noch kurz bei Aschinger in der Leipziger Straße gehalten. Weder für eine Pause hatten sie Zeit gehabt, noch dafür, sich einigermaßen auszutauschen und zu beraten, und wie es aussah, hatte der Vernehmungsmarathon im Wesentlichen nur das bestätigt, was sie ohnehin bereits wussten. Die wichtigste Erkenntnis war vielleicht die, dass einer der Zeugen gar nicht erschienen war.
Gräf und Lange, seine beiden einzigen Mitarbeiter, hatte Rath nach Tempelhof zur Firma Lamkau geschickt. »Die Chefin erwartet euch schon. Schaut euch die Firmenpapiere an, die jüngsten Rechnungen und so. Ob ihr da irgendeine Erklärung findet für die tausend Mark, die Lamkau in seinem Kittel hatte.« So war er die beiden für eine Weile losgeworden und konnte sein Versprechen Edith Lamkau gegenüber halten.
Als er im Haus Vaterland ankam, war er froh, auf dem Weg etwas gegessen zu haben, denn er traf Alfons Riedel im nachmittäglichen Rummel der Rheinterrasse an. Die Stirnseite des Saals zeigte hinter einer Glasscheibe ein riesiges beleuchtetes Rheinpanorama: Sankt Goarshausen mit fahrenden Schiffen und Zügen. Der Spirituoseneinkäufer saß in einer halbwegs ruhigen Ecke des Lokals vor einer ganzen Batterie Flaschen und kostete die Qualität diverser Digestifs.
»Jaja, Lamkau«, sagte der Mann und nickte. »Tragische Sache, das.«
Rath orderte einen Kaffee bei dem Kellner, der ihn zu dem Einkäufer an den Tisch geführt hatte. »Sie kannten den Mann persönlich?«, fragte er.
»Ich würde eher sagen: geschäftlich.«
»Aber Sie haben ihm schon einmal die Hand geschüttelt? Mit ihm gesprochen?«
»Selbstverständlich.« Riedel schnupperte seelenruhig an einem Glas, das er sich gerade eingeschenkt hatte.
»Wir haben eine größere Menge Bargeld bei Lamkau gefunden, dessen Herkunft noch unklar ist. Kann es sein, dass Lamkau am Samstagmorgen persönlich ausgeliefert hat, weil im Haus Vaterland noch eine Rechnung offen war?«
»Kempinski zahlt
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