Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
der Mann.
»Hm?«
»Jedenfalls müssen Sie sich nicht unbedingt mit beiden Händen an den Armlehnen festhalten, Sie fallen schon nicht aus der Maschine.«
Der Mitreisende lachte, aber es hörte sich nicht boshaft an. Rath betrachtete seine Hände, die sich wirklich rechts und links um die Armlehnen krampften, so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.
»Sie haben recht«, sagte Rath, »Zugfahren bin ich gewohnt, auch Transatlantikfahrten mit dem Schiff, aber das hier ist mir wirklich nicht ganz geheuer.«
»Halb so wild«, sagte sein Nachbar, »Sie können ganz beruhigt sein, solange Sie Ihren Fallschirm dabeihaben, kann Ihnen nichts passieren.«
»Einen Fallschirm?«
»Haben Sie etwa keinen?« Der Mann machte ein entsetztes Gesicht.
»Nein!«
»Na dann …« Der Mann brach in schallendes Gelächter aus. »Kleiner Scherz. Nichts für ungut.«
Rath versuchte zu lächeln, doch es fiel ihm schwer. »Warum fliegen Sie denn nach Königsberg?«, fragte er.
»Das Holz.« Der Mann beugte sich über den Gang und reichte ihm die Hand. »Hillbrich, Möbelfabrikant. Und Sie, was führt Sie in den Osten?«
»Das Verbrechen.« Rath erwiderte den Händedruck. »Rath, Kriminalpolizei.«
»Die Polizei an Bord? Na, dann kann ich ja gleich beruhigt schlafen und muss keine Angst haben, dass man mir meine Taschenuhr klaut.«
Rath zwang sich zu einem weiteren Lächeln.
Das monotone Brummen der Motoren hatte etwas Vertrauenerweckendes, langsam wurde er ruhiger. Sie waren nun schon eine Weile in der Luft, und er schaute aus dem Fenster. So schlimm war es wirklich nicht, Höhenangst spürte er keine, er konnte nur ab und zu ein paar verstreute Lichter da unten sehen, Sterne auf dem Erdboden. Er hatte keine Ahnung, wo sie sich gerade befanden. Aber noch hielten sie sich oben, immerhin.
»Was meinen Sie«, fragte er seinen Nachbarn, »kommen wir pünktlich an?«
Der Möbelfabrikant schaute auf die Uhr und zuckte die Achseln. »Denke schon«, sagte er mit ernster Miene, »wenn diese Dreckspolacken uns nicht abschießen.«
Es dauerte einen Moment, bis Hillbrich wieder sein lautes Lachen hören ließ und Rath auf die Schulter klopfte. »Kleiner Scherz, alter Freund. Bin schon zigmal nach Königsberg geflogen und auch nach Danzig, und nie ist etwas passiert. Besser fliegen, als durch den vermaledeiten Korridor fahren, wo die Polen einen behandeln wie einen Verbrecher.«
Das konnte ja heiter werden. Rath beschloss, nicht mehr zu lächeln, ganz gleich, was der Mann noch sagen sollte.
Kurz darauf bereitete der Stewart die Schlafkabinen vor, und die ersten Passagiere legten sich hin. Rath hatte zwar das Gefühl, die ganze Nacht kein Auge zumachen zu können, dennoch nahm auch er das Angebot wahr, allein schon, um sich keine Witze mehr anhören zu müssen. Das leichte Schaukeln des Flugzeugs, das ihm eben noch Angst gemacht hatte, bewirkte nun das genaue Gegenteil und ließ ihn einschlafen, kaum hatte er die Augen geschlossen. Dabei hatte er sie eigentlich nur geschlossen, weil er an Charly denken wollte.
Aber dann nahm er die Gedanken an sie mit in seine Träume.
29
S ie starrte an die Decke und konnte nicht schlafen.
Verdammt!
Sie lag in ihrem eigenen Bett in der Spenerstraße, obwohl Gereon ihr nicht nur den Buick, sondern auch die Wohnungsschlüssel überlassen hatte. Nur den Hund nicht, den hatte er in die Obhut von Erika Voss gegeben. Sie hatte nicht schon wieder an diesem Pförtner vorbeispazieren wollen, der das Treppenhaus in der Carmerstraße bewachte wie ein Zerberus, nicht noch einmal, nein danke!
Diese Nacht hatte sie sich weiß Gott anders vorgestellt, jedenfalls nicht so, dass sie allein in ihrem Bett in der Spenerstraße liegen würde und an die Decke starrte. Sie hätte ein wenig Trost vertragen können, hätte sich ein bisschen bedauern lassen wollen von ihm und ein wenig verwöhnen nach diesem harten Tag im Haus Vaterland . Noch jetzt sah sie Zwiebeln, nichts als Zwiebeln, sobald sie die Augen schloss. Sollte sie in dieser Nacht irgendwann doch noch einschlafen, würde sie wahrscheinlich auch davon träumen.
Sie hatte ihm erzählen wollen von ihrem Einsatz an der deutschen Zwiebelfront, von den Dingen, die sie in Erfahrung gebracht hatte, dass sie jemanden gesprochen hatte, der Näheres über diesen Skandal um gepanschten Luisenbrand zu wissen schien. Gereon jedoch hatte sich kein bisschen für ihren Tag interessiert. Alles hatte sich allein um Herrn Rath gedreht, darum, was er mit Dettmann angestellt
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