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Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Titel: Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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Verlaub, Herr Vizepräsident, das sehe ich anders: Ich bekämpfe Verbrechen.«
    »Der Osten ist ein heikles Terrain. Die Bauern dort haben es schwer, sich gegen die Gutsherren zu behaupten, viele haben das Land verlassen. Die von Brüning aufgezogene Reichsverwaltung hat völlig versagt. Die Masuren haben im April diesem Hitler, einem Mann, der sich vor Kurzem überhaupt erst die deutsche Staatsbürgerschaft erschlichen hat, zugejubelt, als wäre er der Erretter Ostpreußens. Die Nazis reden schon von einer masurischen Erweckung, die müssen ja immer gleich alles glorifizieren und für ihre Propaganda ausschlachten.«
    »Was wollen Sie damit sagen, Herr Doktor? Dass ich in Ostpreußen nur noch auf Nazis treffen werde? Soll ich zur Tarnung eine Hakenkreuzbinde anlegen?«
    »Im Gegenteil, mein Lieber, im Gegenteil: Ich will, dass Sie bei Ihren Ermittlungen in Ostpreußen und speziell in Masuren so auftreten, dass es eine Werbung ist für die preußische Demokratie …«
    »Nicht auch für die deutsche Demokratie?«
    »Für die können Sie gerne ebenfalls werben, aber die, so fürchte ich, gibt es schon nicht mehr. Das Reich schimpft sich noch Republik, aber es ist schon lange keine mehr, spätestens seit Hindenburg diesen Intriganten von Papen zum Kanzler gemacht hat. Die Regierung dieser sogenannten Republik wartet doch nur noch auf den geeigneten Augenblick, den Kaiser wieder auf den Thron zu setzen oder eine Militärdiktatur auszurufen.«
    So hatte Weiß geredet, und er hatte noch mehr gesagt, doch Rath hatte irgendwann auf Durchzug geschaltet. Diese ganzen politischen Querelen interessierten ihn nicht. Auch er mochte diesen selbst ernannten Führer Hitler nicht und seine SA – Rabauken noch weniger. Na und? Dann wählte man den Mann eben nicht, so einfach war das in einer Demokratie. Wobei Rath schon hatte überlegen müssen, wann er das letzte Mal überhaupt wählen gegangen war. Bei der Reichspräsidentenwahl dieses Jahr war er jedenfalls zu Hause geblieben. Hindenburg, Hitler oder Thälmann – was für eine Auswahl!
    Er schaute aus dem Fenster. Im Licht eines Scheinwerfers konnte er die Grashalme auf dem Tempelhofer Feld erkennen. Vor wenigen Stunden erst hatte Weiß ihn mit den wärmsten Wünschen entlassen, und nun saß er hier in dieser Blechkiste, die über den Flugplatz rumpelte, als wolle sie am Boden schon in sämtliche Einzelteile zerfallen. Eine Junkers G31, eine äußerst zuverlässige Maschine, so hatten sie ihm gesagt, die Luft Hansa fliege die Strecke nach Königsberg nun schon seit sechs Jahren. Dennoch war es ihm ein Rätsel, wie dieses brummende, rappelnde, scheppernde Ding sich jemals in die Luft erheben, geschweige denn, wie es sich dort oben länger als fünf Sekunden halten sollte. Und dieses Rätsel trieb ihm den Schweiß auf die Stirn.
    Um sich auf andere Gedanken zu bringen, faltete Rath das Schreiben auseinander, das Weiß ihm mitgegeben hatte, doch er konnte sich nicht darauf konzentrieren und gab es nach einer Weile wieder auf. Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihm, dass sie immer noch nicht in der Luft waren.
    Sein Nachbar auf der anderen Seite des Gangs schien weniger beunruhigt, er hatte sich hinter einer Zeitung vergraben und las in aller Seelenruhe, als säße er in der Eisenbahn. Rath starrte auf die Artikel und versuchte, sich damit abzulenken. Polizei überlastet. Die Folgen der Demonstrationsfreiheit. Eigentlich ein Thema, das ihn interessieren sollte, doch die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen, er starrte auf den Text unter dieser Überschrift und konnte keinen Sinn hineinbringen. Stattdessen ertappte er sich dabei, wie er wieder auf die seltsamen Geräusche achtete, die dieses vermaledeite Flugzeug machte.
    Und jetzt schien es tatsächlich zu beschleunigen. Er wurde in seinen Sessel gedrückt, und mit einem Mal fühlte er, dass sie abgehoben haben mussten, obwohl er es nicht sehen konnte, denn draußen vor dem Fenster war nichts als die schwarze Nacht. Und dann erschien hinter der Schwärze plötzlich ein Lichtermeer. Rath erkannte den hell erleuchteten Koloss von Karstadt am Hermannsplatz und das Geflecht der Straßen, ein Spinnennetz aus Licht, ein Anblick, der ihm den Atem nahm. Sie flogen, sie waren tatsächlich in der Luft! Fragte sich nur, für wie lange.
    Die Zeitung auf der anderen Seite des Ganges sank mit einem sanften Knistern herab, und Rath sah in das rotwangige Gesicht eines leicht untersetzten Mittvierzigers.
    »Sie fliegen zum ersten Mal?«, fragte

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