Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
und welche Strafexpedition Gennat ihm dafür aufgebrummt hatte. Als er dann wie beiläufig hinterherschob, dass er dem Kriminalrat auch die Verlobung gebeichtet hatte, war sie kurz davor gewesen, ihm eine Ohrfeige zu verpassen. Sie hatte es nur deswegen nicht getan, weil er gerade mit ziemlichem Tempo über die Belle-Alliance-Straße den Tempelhofer Berg hinaufraste und sie keinen Unfall riskieren wollte.
»Du hast was ?«
»Charly, bitte! Es ging nicht anders. Der Buddha hat mich in die Enge getrieben. Tut mir leid.«
»Wir hatten eine Vereinbarung!«
»Er hat uns gratuliert. Und du wirst keine Nachteile dadurch haben. Ich bin derjenige, den er nach Ostpreußen schickt.«
»Meinst du, ich freue mich darüber, dass mein Verlobter in die Walachei geschickt wird? Nicht einmal den Hund hast du mir dagelassen!«
»Du musst doch morgen wieder arbeiten. Und die Voss hat sowieso noch einiges wiedergutzumachen. Die wird sich schon gut um Kirie kümmern.«
»Weiß die etwa auch schon von unserer Verlobung?«
»Natürlich nicht.« Er hatte sie angeschaut mit seinem Dackelblick. »Mensch, Charly, irgendwann werden es alle wissen. Deswegen heiraten die Leute. Damit alle Welt weiß, dass man ein Paar ist.«
»Ach ja?«
»Ach ja!«
Und dann hatten sie sich wieder angeschwiegen.
Als sie kurz darauf mit einem Gepäckwagen zum Abflugschalter schoben, war ihr Zorn bereits verraucht. Sie hatte daran denken müssen, was Gereon mit Dettmann angestellt hatte, und sich an dieser Vorstellung gefreut, diebisch gefreut sogar. Er hatte verdammt noch mal alles richtig gemacht. So dämlich es auch gewesen sein mochte. Manchmal war das Richtige eben dämlich. Es kam ihr vor, als habe er sogar seine Verbannung nach Ostpreußen ihretwegen in Kauf genommen, und das schmeichelte ihr gewaltig, mehr, als sie zugeben mochte. Auch wenn sie so ein Platzhirschgehabe verabscheute, war es doch ein wundervolles Gefühl zu wissen, dass er sie verteidigt hatte und vielleicht sogar ein bisschen gerächt.
Ob Gennat sich wirklich etwas erhoffte von der Ostpreußenreise? Jedenfalls war Gereon so für eine Weile aus dem Schussfeld, das mochte das Hauptansinnen des Kriminalrats sein: dass vorerst keine Gefahr mehr bestand, dass die Kollegen Rath und Dettmann sich in der Burg begegneten und sich am Ende noch im Morgengrauen duellierten.
Die Sache hätte auch schlimmer ausgehen können. Noch ein Disziplinarverfahren, und Gereon Rath hätte seine Karriere wohl endgültig an den Nagel hängen können, und das, wo er gerade auf dem Weg war, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Ausgerechnet dann die Arbeit zu verlieren, das wäre schon ziemlich dämlich. Na, sie hatte jetzt ja auch eine Stelle. Charly lächelte ihre Zimmerdecke an bei der Vorstellung: Sie kommt abgekämpft von der Arbeit nach Hause, und ihr Mann steht mit Küchenschürze und Kochlöffel in der Tür. Was für ein verrücktes Bild! Und ziemlich unrealistisch: Gereons Kochkünste waren noch miserabler als die ihren. Und das wollte etwas heißen.
Rein kulinarisch gesehen hätten sie sich eigentlich beide für einen anderen Ehepartner entscheiden müssen.
Sie hörte, wie die Wohnungstür ging und Greta leise kicherte. Sie schien ihren neuen Schwarm mit nach Hause genommen zu haben, einen möblierten Herrn mit strenger Zimmerwirtin und Damenbesuchsverbot, der schon einige Male in der Spenerstraße übernachtet hatte. Ob aus den beiden etwas werden würde? Ob Greta das überhaupt wollte? Die war ziemlich freizügig in solchen Dingen, manchmal so sehr, dass Charly regelrecht Angst bekam. Von ihrer Verlobung mit Gereon hatte sie der Freundin noch nichts erzählt, sie wusste auch so, dass Greta nichts davon hielt. Weder von Gereon, dem sie schon immer die kalte Schulter gezeigt hatte, noch von einer Verlobung.
Aber irgendwann würde sie beichten müssen. Auch, dass sie nicht mehr lange in der Spenerstraße wohnen bleiben konnte. Sie fühlte schon jetzt eine Art Abschiedsschmerz, wenn sie nur daran dachte. Über vier Jahre hatten sie und Greta, mit ein paar Unterbrechungen, hier zusammen gelebt. Und alles in allem eine gute Zeit gehabt.
Charly seufzte. Warum war das Leben nur so kompliziert?
Sie schloss die Augen, und immer noch sah sie den Zwiebelberg vor sich, doch diesmal schlief sie dabei ein.
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D as Königsberger Polizeipräsidium machte einen fast schon gemütlichen Eindruck, kein Vergleich mit der monströsen Backsteinburg am Alex. Der moderne Nordbahnhof, gleich gegenüber auf der
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