Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
habe ich das Vergnügen?«
»Rath, Kriminalpolizei.«
Der Privatsekretär schaute nicht gerade überrascht auf die Marke.
»Was kann ich für Sie tun, Herr Kommissar?«
Rath zeigte das Führerscheinfoto. »Ich brauche Informationen zu diesem Mann«, sagte er, »Herbert Lamkau. Ein Geschäftsfreund von Herrn Wengler.«
»Tut mir leid, mit den geschäftlichen Belangen Herrn Wenglers bin ich nicht befasst. Aber ich könnte Ihnen einen Termin machen mit dem Herrn Direktor.« Fischer zückte ein kleines schwarzes Buch und blätterte eine Weile darin. »Sie haben Glück«, sagte er. »Morgen früh, elf Uhr, ist noch etwas frei.«
»Sie haben ebenfalls Glück.« Rath reichte dem Sekretär seine Visitenkarte. »Richten Sie Herrn Wengler doch bitte aus, ich kann schon um zehn bei ihm sein.«
33
H eute hatte der Tag mit einem Berg Karotten begonnen, die geschält werden mussten, eine Kleinigkeit im Vergleich zum Zwiebelhacken, und dann, gleich nach der Mittagspause, hatte Unger sie zu sich ins Büro gerufen. Der Küchenchef hatte einen ganzen Stapel Korrespondenz zu erledigen gehabt und sie nach dem Diktat allein im Büro zurückgelassen, wo sie die Briefe gleich in die Maschine tippen sollte.
Charly hatte sich beeilt damit und die Gelegenheit genutzt, ein bisschen in Ungers Schubladen zu wühlen. Die großen Fensterscheiben, durch die jedes Aas ins Büro gucken konnte, hatten eine systematische Durchsuchung verhindert, aber immerhin hatte sie sich einen Überblick verschaffen können, während sie so tat, als suche sie nach Büroklammern oder Briefumschlägen.
Fündig wurde sie aber erst im Aktenregal, als sie inmitten all der Leitzordner auf einen mit dem Titel Reklamationen stieß, der ganz oben stand. Ohne dass sie die Durchschläge der Briefe, die hier abgeheftet waren, im Einzelnen lesen musste, konnte sie erkennen, dass es sich allesamt um Reklamationsschreiben handelte, die Unger im Namen des Betriebs Kempinski an diverse Lieferanten verschickt hatte. Unappetitliches Zeug. Da war zum Beispiel eine Beschwerde an eine Firma Feinkost Fehling über eine Lieferung Wild voller Maden. Oder die Reklamation einer Palette fauler Eier, die sich in einer Lieferung der Firma Friedrichsen Ei und Geflügel gefunden hatte.
Bevor sie den Ordner genauer untersuchen konnte, musste Charly ihn ins Regal zurückstellen, denn sie hörte, wie die Tür geöffnet wurde, ohne dass jemand zuvor angeklopft hatte, und das konnte nur eines heißen. Sie drehte ihren Kopf und sah Manfred Unger, der im Raum stand und unverhohlen auf ihre Beine glotzte.
»Was suchen Sie denn, Fräulein Ritter? Kann ich Ihnen helfen?«
»Die Korrespondenz«, sagte sie und stieg von dem Tritthocker, den sie zu Hilfe genommen hatte, »ich bin fertig damit und wollte die Durchschläge gern abheften.«
»Da müssen Sie nicht so hoch hinaus. Wie wäre es mit dem hier?«
Er fischte einen Ordner aus dem Regal, der direkt vor ihrer Nase stand. +++ Korrespondenz 1932 +++ stand auf dem Aktendeckel.
»Na, das ist wohl wieder mal ein klassischer Fall.« Charly lachte und versuchte, dieses Lachen so echt wie möglich klingen zu lassen.
»Ein klassischer Fall von was?«
»Den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen.«
Sie schlug den Ordner auf und kehrte an den Schreibtisch zurück. Zum Glück hatte sie die Briefe wirklich alle schon getippt.
Unger betrachtete mit Wohlwollen im Blick, wie sie zum Locher griff und begann, die Durchschläge abzuheften. Er schien nichts bemerkt zu haben.
»Sie müssten noch unterschreiben«, sagte sie und zeigte auf die Originale, die sie ihm hingelegt hatte.
»Natürlich!« Er riss seinen Blick von ihr los und widmete sich dem Signieren seiner Korrespondenz. Alles harmlose Briefe im Vergleich zu denen, die Charly entdeckt hatte.
»Schön«, sagte er nach getaner Arbeit und gab seiner Stimme einen generösen Anstrich, »dann bringen Sie die Briefe hier doch bitte noch zur Post und machen dann Feierabend, Fräulein Ritter. Kuverts und Briefmarken finden Sie ganz oben in der flachen Schublade im Schreibtisch.«
Charly nickte devot. Wo die Briefmarken waren, das wusste sie schon, aber das musste Unger ja nicht merken.
»Vielen Dank, Herr Unger.« Sie setzte sich an den Schreibtisch und begann, die Briefe zu falten und einzutüten.
Unger schaute noch einmal kurz auf ihre Beine, dann verschwand er wieder in der Küche. Schien heute viel los zu sein, überall mischte er sich ein und gab Anweisungen, fand aber immer wieder Zeit, einen
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