Die Akte Veden

Kram: Gedanken lesen, Wasser befehligen, Luft verhärten.«
    »Hast du die Listen kopiert?«
    »Klar. Alles in der Mappe da. Geschossen hat übrigens keiner auf mich, aber die alte Sekretärin hat mich manchmal so angeschaut, als hätte sie’s vor.«
    Loki nahm die Mappe, setzte sich auf das Bettende und fing an, sie durchzublättern. »Wo ist die Liste mit dem Jahrgang des Direktors?«
    »Verbrannt.«
    »Verbrannt?« Loki sah auf.
    »Ja. Dieser Chester, der Schülersprecher, hat’s mir grade eben gesagt. Vorletztes Jahr gab es einen Brand in den Archiven.«
    Loki sah nachdenklich aus, schwieg ein paar Momente.»Hunger.« Er machte die Mappe wieder zu und ließ sie auf dem Bett liegen. »Lass uns in die Stadt fahren und irgendwo etwas essen gehen.«
    Tim sprang auf die Beine. »Fabelhafte Idee!«
    Zwanzig Minuten später hielt Loki den gemieteten Wagen, den er irgendwann am Vormittag aufgetrieben hatte, vor einem rechteckigen Bunker aus rotem Backstein an.
    Tim blickte auf das Schild am Eingang und seufzte. »Essen wir heute aus der Asservatenkammer?« Tim wusste, dass sein Cousin nicht antworten würde, deshalb stieg er aus und warf die Tür zu. »Weißt du, manchmal frage ich mich, warum ich nicht einfach abhaue. In der Zwischenzeit habe ich ein bisschen was gespart. Ich sollte mich nach Jamaika absetzen.«
    Loki verriegelte den Wagen und trat neben Tim. »Mir ist schleierhaft, wie du ausgerechnet jetzt auf diesen Gedanken kommst, aber wenn du das tun möchtest, dann tu es und rede nicht lange davon.«
    »Die richtige Antwort wäre gewesen: Bitte bleib, Tim, denn ohne dich kann ich nicht mehr arbeiten.« Er folgte Loki in das Innere des Polizeipräsidiums. »Und du kannst dir wirklich nicht denken, warum ich gerade jetzt über eine Auswanderung nachdenke?«
    Loki ging zur Anmeldung, zog seinen Geldbeutel aus der Hosentasche und fing an, darin herumzusuchen. Währenddessen sah er kurz zu der Dame in Uniform auf und grüßte sie. Er fand, was er suchte, legte den Ausweis in die Durchreiche und beobachtete, wie die Frau den Pass begutachtete.
    »Was kann ich für Sie tun, Herr von Schallern?«
    »Ich verlange Einsicht in alle Unterlagen zu diesen Fällen.« Loki schob ein weiteres Stück Papier in die Durchreiche.
    Die Frau nahm den Zettel, tippte in ihrem Computer herum und sah Loki wieder an. »Das sind gänzlich unterschiedliche Fälle, Herr von Schallern. Sie unterliegen verschiedenen Dienststellen. Nur einer der Fälle obliegt einem Dezernat in diesem Haus.«
    »Geben Sie mir bitte eine Liste der Fälle mit den zuständigen Dienststellen. Und ist es möglich, mit dem Leiter der Ermittlungen vor Ort zu sprechen?«
    »Natürlich. Wenn Sie dort Platz nehmen, ich werde sofort alles veranlassen.« Die Frau schob Lokis Ausweis durch die Durchreiche.
    Loki nahm ihn, drehte sich um, setzte sich auf die hölzerne Bank auf der gegenüberliegenden Seite der Anmeldung und schlug die Beine über, verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Was soll ich bestellen? Spaghetti Bolognese?« Tim setzte sich neben ihn. »Oder eine Pizza mit Meeresfrüchten?«
    »Wenn du auf Jamaika bist, empfehle ich Meeresfrüchte.«
    »Ich meine, jetzt und hier.«
    Loki warf seinem Cousin einen Blick zu. »Du kannst von Glück sprechen, wenn du hier einen genießbaren Kaffee bekommst.«
    »Tatsächlich? Dann solltest du das Restaurant das nächste Mal besser auswählen.«
    Sie sahen sich an.
    »Gut für dich, dass ich nicht viele Antworten verlange und nicht ständig nachhake«, sagte Tim. »Du solltest mich nicht einfach gehen lassen. Einen so genügsamen Mitarbeiter findest du nicht so schnell wieder.«
    Loki wandte den Blick ab. »Dafür, dass du so wenige Antworten hast, redest du enorm viel.«
    Eine Tür rechts von ihnen ging auf. Ein etwas älterer Herr im Anzug trat ein und musterte erst Tim, dann Loki. »Sie haben nach mir rufen lassen. Herr Kommissar Lünsmann ist mein Name. Was kann ich für Sie tun?«
    Loki stand auf, schüttelte dem Kommissar die Hand und gab ihm seinen Ausweis. »Herr von Schallern, das hier ist Herr Jung.« Nachdem der Kommissar Tim die Hand geschüttelt und den Ausweis angesehen hatte, steckte Loki ihn zurück in seinen Geldbeutel.
    »Sie kommen vom Bundeskriminalamt? Worum geht es?«
    »Um den Fall mit dem Mädchen«, mischte sich die Empfangsdame ein. Sie lächelte Loki zu, hob einen Stapel Papiere an und schob ihn durch die Durchreiche. »Ihre gewünschten Unterlagen, Herr von Schallern.«
    Loki nahm die Papiere