Die Akte
gewesen, und sie betrachtete eine ganze Weile die Vorhänge, während ihr Gehirn aufwachte.
Sie versuchte, methodisch zu denken. Dies war ihr vierter Tag als Pelikan, und um Nummer Fünf zu erleben, würde sie denken müssen wie ein Killer, der nichts außer acht ließ. Es war Tag Nummer Vier ihres restlichen Lebens. Eigentlich sollte sie bereits tot sein.
Aber nachdem sie die Augen geöffnet und begriffen hatte, dass sie tatsächlich am Leben und in Sicherheit war und die Tür nicht quietschte und die Dielen nicht knarrten und kein Revolvermann im Schrank lauerte, galt ihr erster Gedanke wie immer Thomas. Der Schock seines Todes ließ nach, und es fiel ihr jetzt leichter, die Geräusche der Explosion und des prasselnden Feuers zu verdrängen. Sie wusste, dass er in Stücke zerrissen worden und sofort tot gewesen war. Sie wusste, dass er nicht hatte leiden müssen.
Also dachte sie an andere Dinge, zum Beispiel an das Gefühl, wenn er neben ihr lag, und an sein Flüstern und Kichern, wenn sie im Bett waren und den Sex hinter sich hatten und er schmusen wollte. Er war ein Schmuser, und nachdem sie sich geliebt hatten, wollte er spielen und küssen und streicheln. Und kichern. Er liebte sie sehr, es hatte ihn schwer getroffen. Und zum ersten Mal in seinem Leben konnte er mit einer Frau herumalbern. Es war oft vorgekommen, dass sie mitten in einer seiner Vorlesungen an das Gurren und Kichern gedacht hatte und sich auf die Lippe beißen musste, um nicht zu lächeln.
Sie hatte ihn auch geliebt. Und es tat so weh. Sie wäre am liebsten im Bett geblieben und hätte eine Woche lang geweint. Am Tag nach der Beisetzung ihres Vaters hatte ihr ein Psychiater erklärt, dass die Seele eine kurze, sehr intensive Periode des Trauerns braucht und dann zur nächsten Phase übergeht. Aber der Schmerz muss sein; sie muss rückhalt los leiden, bevor es weitergehen kann. Sie hatte seinen Rat befolgt und sich zwei Wochen lang mutlos der Trauer hingegeben, dann hatte sie genug und ging zum nächsten Stadium über. Es funktionierte.
Aber bei Thomas funktionierte es nicht. Sie konnte nicht schreien und mit Gegenständen werfen, wie sie es gern getan hätte. Rupert und der dünne Mann und die anderen erlaubten ihr kein gesundes Trauern.
Nach ein paar Minuten mit Thomas dachte sie als nächstes an sie. Wo würden sie heute sein? Wohin konnte sie gehen, ohne gesehen zu werden? Sollte sie sich nach zwei Nächten in diesem Zimmer eine andere Unterkunft suchen? Ja, das würde sie tun. Nach Einbruch der Dunkelheit. Sie würde anrufen und in einer anderen winzigen Pension ein Zimmer buchen. Wo wohnten sie? Patrouillierten sie auf den Straßen, in der Hoffnung, einfach irgendwo auf sie zu stoßen? Wussten sie, wo sie sich in diesem Augenblick aufhielt? Nein. Dann wäre sie schon tot. Wussten sie, dass sie jetzt eine Blondine war?
Das Haar brachte sie aus dem Bett. Sie trat vor den Spiegel über dem Waschbecken und betrachtete sich. Es war jetzt noch kürzer und sehr weiß. Gar nicht so schlecht. Sie hatte gestern abend drei Stunden lang daran gearbeitet. Wenn sie zwei weitere Tage am Leben blieb, würde sie noch ein bisschen mehr abschneiden und zu Schwarz zurückkehren. Wenn sie noch eine weitere Woche lebte, würde sie wahrscheinlich kahl sein.
Ihr Magen knurrte, und eine Sekunde lang dachte sie an Essen. Sie hatte in der letzten Zeit kaum etwas zu sich genommen, und das musste sich ändern. Es war fast zehn Uhr. In dieser Pension gab es sonntags kein Frühstück. Sie musste sich hinauswagen und etwas essen und sich die Sonntagsausgabe der Post besorgen und es einfach darauf ankommen lassen, ob sie sie jetzt, da ihr Haar blond und ganz kurz war, erwischen würden.
Sie duschte rasch, und das Frisieren dauerte weniger als eine Minute. Kein Makeup. Sie zog eine neue Drillichhose an und eine neue Bomberjacke und war zur Schlacht bereit. Die Augen verbarg sie hinter einer Fliegersonnenbrille.
Obwohl sie ein paar Mal irgendwo hineingegangen war, hatte sie seit vier Tagen kein Gebäude durch die Vordertür verlassen. Sie schlich durch die dunkle Küche, schloss die Hintertür auf und trat in die Gasse hinter der kleinen Pension. Es war so kühl, dass sie die Bomberjacke tragen konnte, ohne Aufsehen zu erregen. Albern, dachte sie; im French Quarter würde sie selbst dann kein Aufsehen erregen, wenn sie das Fell und den Kopf eines Eisbären trug. Sie ging flott durch die Gasse mit den Händen tief in den Taschen der Drillichhose, während ihre Augen
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