Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
befestigt. Der Arm eines Kranes schwenkte vom Hauptmast herüber. Seile spannten sich. Und plötzlich wurden Gishild und der Vogel schwankend in die Höhe gehoben.
Noch immer hielt jemand ihre Hand. Sie konnte kein Gesicht sehen. Der Kopf hing ihr in den Nacken. Die Welt war verkehrt. Der Ozean stürmte über den Himmel. Und sie sah, wie eines der großen Schiffe aus der Flotte einen Wellenkamm
hinabstürzte und mit einem Getöse, das selbst das wütende Heulen des Sturmes übertönte, auf ein schwarzes Riff auflief.
Wieder durchfuhr sie ein Ruck. Der Arm des Kranes schwenkte zur Seite. Schaukelnd hing sie in den Seilen und rutschte in ihre ursprüngliche Lage im Fluggeschirr zurück. Die Ledergurte spannten. Ihre überdehnten Sehnen und Muskeln schmerzten und fühlten sich an, als wolle ein Riese ihr die Glieder ausreißen. Die Welt drehte sich, und unter sich sah sie ein klaffendes, schwarzes Loch, in das sich wahre Sturzfluten an Gischt ergossen.
Gishild wurde übel. Immer heftiger schlingerte das Schiff. Die Halteseile tanzten auf und nieder. Dann verschlang sie die Finsternis.
DER HIMMEL BRENNT
Ollowain stieß die Klinge vor. Der gehärtete Stahl durchdrang die Brustplatte des Offiziers. Aus den Augenwinkeln sah er eine Bewegung. Der Schwertmeister ließ seine Waffe fahren, blockte mit dem Parierdolch einen Angriff ab und ergriff mit der freien Hand den sterbenden Soldaten, um ihn dicht an sich heranzuziehen. Im selben Augenblick knallte der Schuss. Der Tote wurde ihm wuchtig in die Arme gedrückt, als sein Leib die Kugel abfing, die für den Elfen bestimmt gewesen war.
Ollowain taumelte eine Treppenstufe zurück. Seine Ohren
dröhnten von dem Knall, der von den Wänden der engen Wendeltreppe widerhallte. Das Blut des Offiziers drang durch seine Kleidung. Schweiß perlte dem Elfenritter über das Gesicht.
»Zurück!«, war eine Knabenstimme weiter unten auf der Treppe zu vernehmen.
Der Schwertmeister sah die Erleichterung in den Gesichtern der Männer, als sie sich aus dem aussichtslosen Kampf zurückziehen durften. Tiranu wollte ihnen nachsetzen, doch Ollowain hielt seinen Gefährten zurück. »Nicht! Ein paar Schritt nur, und wir stehen in dem Kreuzgewölbe, auf das die Wehrgänge münden. Hier auf der Treppe sind wir besser aufgehoben.«
Der Fürst von Langollion nickte müde und ließ seine Waffen sinken. »Gehen wir eine Stufe zurück.« Er deutete auf die Toten, die vor ihnen lagen. »Wenn die nächsten Angreifer über sie hinwegsteigen, stoßen wir vor. Sie sind dann leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen.«
Ollowain sagte dazu nichts. Er fand den Vorschlag unritterlich, obwohl er gewiss effektiv war. Konnten sie sich Ritterlichkeit noch leisten? Er betrachtete die Toten. Ein Knabe im Weiß der Ordensritter lag zwischen ihnen. Wie alt mochte er sein? Fünfzehn? Vielleicht sechzehn? Auf seiner Oberlippe spross zarter schwarzer Flaum. Er hatte ein markantes Gesicht. Ollowain konnte sich nicht erinnern, gegen ihn gekämpft zu haben. Aber an die Gesichter seiner übrigen Feinde erinnerte er sich auch nur verschwommen. Er wollte sich nicht an sie erinnern. Wollte nicht, dass sie ihn in seinen Träumen heimsuchten! Bestimmt hatte Tiranu den Jungen getötet … Er lag etwas mehr auf der Treppenhälfte, die der Fürst von Langollion verteidigt hatte. Es war unmöglich, dass …
»Riecht ihr das?«, fragte Fingayn.
Ollowain hob den Kopf, dankbar, aus seinen trüben Gedanken aufgeschreckt zu sein. Er roch nur den Qualm der verdammten Pistole, deren Knall ihm noch in den Ohren hallte.
Auch Tiranu schien nun etwas zu bemerken. »Sind das glimmende Zündschnüre?«
Der Schwertmeister erstarrte. Er ahnte, warum die Ordensritter ihre Krieger so plötzlich von der Treppe zurückgezogen hatten. »Hinwerf… !«
Eine Arkebusensalve schnitt ihm das Wort ab. Die Schützen standen außer Sicht hinter der Krümmung der Wendeltreppe im Kreuzgewölbe. Sie konnten nur auf die Wand zwei Schritt vor den Elfen zielen, wo sich die meisten der schweren Bleikugeln platt drückten und zu Boden fielen. Doch einige Querschläger fanden den Weg die Treppe hinauf.
Etwas Heißes streifte Ollowains Schläfe. Kugeln zischten über ihn hinweg. Er hörte Tiranus Rüstung scheppern. Der Elf fluchte.
»Hoch!«, befahl Ollowain. Unter ihnen im Turm war das Scharren von Stiefeln zu hören. Neue Schützen bezogen Stellung.
Fingayn lehnte an der Wand. Er presste sich die Linke auf den Bauch. Blut sickerte zwischen seinen Fingern
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