Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
bemerkte, wie einige sie mit Neugier musterten. Für sie schien nicht mehr die Frage, ob sie tatsächlich Gishild war, im Vordergrund zu stehen. Sie fragten sich, ob sie würde halten können, was sie so vollmundig versprochen hatte.
»Prinzessin?« Ollowain beugte sich zu ihr herab. »Mir liegt
es fern, dich zu belehren, doch es war nicht klug, deinen alten Lehrer in aller Öffentlichkeit dazu aufzufordern, morgen hierherzukommen, um mit dem Finger auf jene zu zeigen, die er für unnütze Esser hält.«
»Warum?«
»Weil er deshalb in dieser Nacht sterben könnte.«
Gishild sah den Elfen erschrocken an.
»Dies hier ist kein Spiel, Prinzessin. Wer in dieser Halle sitzt, hat Macht. Wer seinen Platz verliert, ist gedemütigt. Ich glaube, dass du tatsächlich einige der Emporkömmlinge eingeschüchtert hast. Andere aber werden vielleicht kämpfen, um ihre Macht und ihren Einfluss nicht zu verlieren. Und deshalb ist dein Lehrer Ragnar in Gefahr. Wenn du erlaubst, werde ich Fingayn schicken, damit er auf Ragnar achtgibt.«
Gishild nickte. Die letzten Jarls hatten inzwischen die Halle verlassen, und sie fühlte sich auf einmal entsetzlich müde. »Ich werde mich zur Ruhe begeben. Lass mich wecken, sobald meine Mutter eintrifft.«
»Ich werde Wachen für deine …«
»Nein, Ollowain. Wie sieht es aus, wenn ich Herrscherin und Kriegerkönigin sein will und mich nicht einmal allein in mein Schlafgemach wage?«
»Aber du musst bedenken …«
Sie stand auf. Die kleine Katze sprang davon. »Bitte, Ollowain, respektiere meinen Wunsch, auch wenn er dir unvernünftig erscheint. Ich werde den Riegel vor meine Tür legen, wenn es dich beruhigt. Aber ich werde nicht in meinem Heim in Angst leben und mich auf Schritt und Tritt von Leibwächtern begleiten lassen. Dass mir jemand etwas tut, kann ich mir nicht vorstellen. Dafür haben sie zu viel Respekt vor meiner Familie.«
»Ich will dir keine Angst machen, Prinzessin, aber freunde dich lieber mit dem Gedanken an, dass hin und wieder Dinge im Leben geschehen, die du dir nicht vorstellen kannst.«
BLUTTAT
»Du wirst keine Wahl haben, Gishild.«
Die Prinzessin schüttelte den Kopf. »Ich werde Königin sein. Doch was du sagst, ist undenkbar!«
»Ich rede doch nicht von Liebe, Kind. Du musst es tun. Für dein Land. Für deine Sippe. Du bist die Letzte vom Blute des Ahnherrn Mandred. Sie werden dich so lange bedrängen, bis du nachgibst. Du weißt, dass du dazu geboren bist. Ob Königin oder nicht, in dieser einen Angelegenheit wirst du dich fügen müssen.«
»Ich liebe Luc. Ich kann keinen anderen Mann nehmen. Eher verzichte ich auf den Thron.«
»Wenn du das tust, dann wird der Adel um die Krone kämpfen. Das wird das Ende des Fjordlands sein.«
Gishild sah ihre Mutter an. Roxanne war alt geworden. Schwere Tränensäcke lagen unter ihren Augen. Silber hatte sich in ihr schwarzes Haar geschlichen. Gishild hatte sie immer als schöne Frau in Erinnerung gehabt. Was sie jetzt sah, erschreckte sie.
Roxanne hatte ihr vom nicht enden wollenden Kampf mit den Jarls erzählt. Sie wurde nicht respektiert, weil sie nicht
von königlichem Blute war. Ja, es floss nicht einmal das Blut einer Fjordländerin in ihren Adern. So gering hatte der Adel sie geachtet, dass sie Roxanne nicht dazu gedrängt hatten, noch einmal zu heiraten, nachdem Gunnar Jahr um Jahr nicht wiedergekehrt war.
»Du schuldest es dem Land«, sagte Roxanne leise.
»Ich habe meinen Liebsten bereits erwählt und ihm Treue geschworen. Niemand wird seinen Platz einnehmen.«
»Wenn ich dich richtig verstanden habe, wurde der Hochzeitsakt nicht vollzogen«, wandte ihre Mutter ein.
»Nur das Versprechen vor Tjured fehlte.« Sie sagte das trotzig und spürte zugleich, wie ihr das Blut in die Wangen schoss.
Ihre Mutter überraschte sie. Sie lächelte. Und dann nahm Roxanne sie fest in den Arm. So, wie sie es oft getan hatte, als Gishild ein Kind gewesen war. Ihre Mutter roch noch genauso wie früher, nach Pfirsichblüten und Rosenöl und ein klein wenig säuerlich. Es tat gut, diese Umarmung. Gishild schossen Tränen in die Augen, ohne dass sie sich dagegen wehren konnte.
»Du liebst ihn sehr, nicht wahr?« Roxannes Stimme war nur ein Flüstern. Dunkel. Leise.
»Ja.« Das war alles, was Gishild hervorbrachte. Sie spannte sich, um nicht zu schluchzen. Ihre Mutter strich ihr sanft über den Rücken.
»Ach, mein Mädchen, ach. Die große Liebe … Sie ist das schönste Geschenk und zugleich ein Fluch. Ich liebte
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