Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
deinen Vater mehr als mein Leben. So oft war er fort. So viele Tage habe ich nicht gelebt.« Sie stockte. »Und jetzt, da ich weiß … Seit du mir gesagt hast, dass er … So viele Monde habe ich gelitten für so wenige Stunden des Glücks. Du musst ihn vergessen, Gishild. Ein Herz kann nicht endlos
trauern, es wird klein und mutlos. Sieh mich an!« Sie löste ihre Umarmung und setzte sich auf ihr Bett. »Glaubst du, ich wollte so werden, wie ich bin? Ich wusste jeden Tag, was für eine schlechte Königin ich bin. Sie wollten mich nicht. Die Einzigen, die immer zu mir gestanden haben, waren die Mandriden. Die anderen …«
Roxanne machte eine hilflose Geste. »Du hast sie gesehen. Hüte dich vor Guthrum. Der Jarl von Aldarvik ist der übelste unter ihnen. Vor ein paar Tagen erst hat er es gewagt, mich zu bedrängen. Er wollte Gunnar für tot erklären lassen. Und er wollte, dass ich sein Weib werde. Nicht aus Liebe! Er dachte wohl, wenn er mich besitzt, ist sein Anspruch auf den Thron ein wenig größer. Er will König sein, in ihm brennt der Ehrgeiz.«
Gishild presste die Lippen zusammen. Mistkerl! Zu Zeiten ihres Vaters war er ein unbedeutender, kleiner Adliger gewesen, der sich in seiner Hafenstadt verkrochen hatte. Ein Bernsteinschmuggler war er, der froh war, wenn man ihm vom Hof her möglichst wenig Beachtung schenkte. Gishild hatte sich über ihn erkundigt, bevor ihre Mutter gekommen war. Er war ein gefährlicher Mann, kannte Diebe und Meuchler. Jetzt schon hatte er Macht über sie, dachte die Prinzessin ärgerlich. Ihre Mutter war zwar nach Firnstayn gekommen, aber sie, Gishild, war in ihr Gemach gegangen. Denn Guthrum hatte recht gehabt. Es geziemte sich nicht für eine Tochter, die eigene Mutter, eine Königin, zu sich zu befehlen wie eine Dienstmagd.
Sie war bereit, den Streit mit ihm fortzuführen, dachte Gishild entschlossen. Sie hatte in der Ordensburg gelernt, wie in solchen Fällen zu verfahren war, wie man mit Rebellen und Ketzern umging. Wie man … Sie musste lachen. So tief waren also die Lehren der Ritter in ihr verwurzelt. In
den Augen der Neuen Ritterschaft war jeder Fjordländer ein Rebell und Ketzer.
»Denkst du gerade an deinen Liebsten?«
Die Frage machte Gishild traurig. Sie sollte an Luc denken, nicht an Guthrum. »Ich werde jetzt versuchen, ein wenig zu schlafen. Zum Frühstück erwartet mich eine Bande aufsässiger Jarls.«
»Willst du bei mir schlafen?«
Ihr Herz wollte, aber Gishild schüttelte den Kopf.
»Es tut mir leid, wenn ich dich enttäuscht habe. Ich liebe dich, Gishild. Du bist alles, was mir noch geblieben ist, und ich danke Luth, dass er dich zu mir zurückgebracht hat. Ich weiß, ich war eine schlechte Königin. Meine Herrschaft stand vom ersten Tag an unter einem unglücklichen Stern. Du kannst die Krone haben. Mir ist sie immer schon zu schwer gewesen. Aber bedenke den Preis. Du weißt, was die Jarls von dir fordern werden, wenn du Königin wirst.«
Sie wollte das jetzt nicht hören. Rasch verabschiedete sie sich und ging zurück zu ihrem Zimmer. Es war kalt in den Gängen der alten Burg. Eisblumen blühten an den Butzenscheiben. Es gab nur wenig Licht. Das alte Gemäuer lag still. Nichts rührte sich. Nirgends war eine Wache zu sehen.
Gishild war froh, als sie ihre Kammer erreichte. Das Feuer im Kamin war herabgebrannt, der kleine Raum erfüllt von der wohligen Wärme der Glut. Ein paar Stunden Schlaf, dann würde sie sich den Jarls stellen.
Sie zog die schwere Schaffelldecke von ihrem Lager und erstarrte. Die Laken darunter waren voller Blut. Und auf ihrem Kissen lag das kleine weiße Kätzchen, das im Festsaal auf ihrem Schoß gesessen hatte. Sein Bauch war aufgeschlitzt. Die blutigen Eingeweide waren wie ein Galgenstrick um den Hals des Tiers gewickelt.
Lange sah sie das Tier einfach nur an. Unfähig zu schreien oder zu weinen. So hatte sie sich ihre Heimkehr nicht vorgestellt, auch wenn Emerelle sie gewarnt hatte. Sie wollte gegen die Feinde des Fjordlands kämpfen, nicht gegen ihren eigenen Adel.
Endlich ließ sie sich müde auf dem Lehnstuhl neben dem Kamin nieder. In ihrem Bett würde sie in dieser Nacht nicht schlafen können.
DAS RECHT DER AHNEN
Gishild hatte ein enges, geschlitztes Lederwams angelegt, dazu Reithosen und hohe Stiefel. Sie war sich bewusst, wie wenig sie die Erwartungen der Adeligen an eine Prinzessin erfüllte. Und sie scherte sich einen Dreck darum. Sie hatte kaum ein Auge zugetan in der Nacht und über diesen Morgen
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