Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
Sie hatte ein hässliches, grobporiges Gesicht voller Pickel. Doch ihr Leib … Um den beneidete sie Gishild. Auch die anderen Mädchen der Lanze waren eifersüchtig auf sie. Esmeraldas Brüste hatten zu sprießen begonnen. Obwohl sie ein Kettenhemd trug, konnte man die sanfte Rundung deutlich erkennen. Gishild sah an sich hinab. Sie war flach wie ein Waschbrett. Manchmal begriff sie nicht, was Luc an ihr fand. War er verliebt in sie, weil sie eine Prinzessin war?
Der Gedanke an Luc schmerzte. Es war ein Gefühl tief in ihrem Bauch. Durchdringend, ja sogar ein wenig lustvoll, wie ihr manchmal schamhaft bewusst wurde. Wie ging es ihm jetzt? Wo war er? Was taten sie mit ihm?
Sie nannten sich Brüder und Schwestern, aber alle wichen ihr aus, wenn sie versuchte, mit ihnen über Luc zu sprechen. Er war ihr Kapitän! Bis vor drei Tagen … Und nun taten sie so, als gäbe es ihn nicht! Sogar der pummelige Ramon, den sie stets für treu und gutherzig gehalten hatte, verleugnete Luc. Dabei hatte er so oft von Luc einen Apfel oder irgendeine andere Kleinigkeit zugesteckt bekommen. Essen,
das sich Luc selbst vom Mund abgespart hatte! Ramon war immer hungrig. Nachts konnte man in der ganzen Baracke seinen Magen knurren hören. Er scherzte gern darüber, dass Gott ihn, einen Knaben, versehentlich mit dem Magen eines ausgewachsenen Mannes beschenkt hätte. Die knapp bemessenen Mahlzeiten waren nie genug für ihn.
Natürlich war auch ein wenig Eigennutz dabei gewesen, wenn Luc ihn beschenkt hatte. Nie hätte Gishild geglaubt, dass ein hungriger Bauch so laut wie ein schnarchender Troll werden könnte. Wenn Ramon halbwegs genug zu essen bekam, schliefen sie alle besser. Aber dass der Junge nun gar nichts für Luc unternahm!
Bei Esteban, der neben Ramon stand, war das anders. Er war ein großer, grobschlächtiger Kerl, dem bereits der erste Flaum spross. Alles an ihm schien zu groß geraten. Seine Hände waren wie Spatenblätter, die Nase ragte wie ein Erker aus seinem Gesicht … Er war auf unbeholfene Art freundlich und versuchte, es jedem recht zu machen. Und er war nicht der hellste. Er nahm Anteil an Lucs Schicksal. Aber er war niemand, der mit einer eigenen Meinung vor die Lanze trat und ihnen ins Gewissen redete.
Voller Ergriffenheit sangen sie jetzt alle. Mein Herz ist mein Tor zu Gott, halte ich es ihm offen, mag kein Leid mich verzagen lassen.
Gishild brachte die Worte nicht über die Lippen. Sie summte das Lied mit, machte ab und zu den Mund auf, damit ihre Verweigerung nicht zu sehr auffiel. Niemals würde sie sich von diesem Gott vereinnahmen lassen! Dem Gott, der Luc so schändlich im Stich gelassen hatte.
Die Prinzessin bemerkte, wie Maximiliam sie finster ansah. Er hatte bemerkt, dass sie nicht wie die anderen sang. Seine schönen blauen Augen waren jetzt kalt wie ihre geliebten
Fjorde im Winter. Maximiliam war ein Musterschüler. Sportlich, gut im Reiten wie im Rechnen. Aber niemand mochte neben ihm sitzen. Was sagte Raffael über ihn? »Sein Atem stinkt wie ein warmer Hundefurz! Den wird nie eine küssen. Nicht einmal, wenn er die Mädchen besoffen macht.«
Maximiliam runzelte die Stirn und nickte ihr auffordernd zu. Dabei sang er selbst weiter, schloss aber nicht mehr die Augen, sondern sah sie unverwandt an.
Was bildete er sich ein! Glaubte er, er könne sie mit einem Blick zu etwas zwingen? Niemals würde sie ihre Götter verraten. Ihnen war sie nahe gewesen, im Fjordland und auch in den Wäldern Drusnas. Jetzt erschienen sie ihr ganz fern. Aber das würde sich wieder ändern. Bestimmt! Sollte Maximiliam nur glotzen! Er wagte es ja nicht einmal, seinen Gesang zu unterbrechen und sie zur Rede zu stellen.
Jetzt stieß er José an. José war der größte unter ihnen, aber dünn wie eine Pikenstange. Sonderlich hübsch sah er nicht aus. Sein Haar ließ sich nur bändigen, wenn es nass war. Sonst stand es stets in allen Himmelsrichtungen von seinem Kopf ab. Und es hatte die Farbe von einem Rattenfell. Eigentlich war er freundlich und verdiente es nicht, dass man so von ihm dachte, aber immer, wenn Gishild sein Haar betrachtete, fielen ihr Ratten ein. Dieses schmutzige Braun, das an einigen Stellen fast in Schwarz überging … Sie kannte niemand anderen, der solche Haare hatte.
Maximiliam nickte anklagend in ihre Richtung. José sah nun auch zu ihr und merkte, dass sie nicht sang, ja, sich nicht einmal sonderlich viel Mühe gab, so zu tun, als täte sie es. Doch er zuckte lediglich mit den Schultern.
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