Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
Gishild war zutiefst erleichtert von dieser Geste. Sie scheute keinen Streit, aber es war gut, sich geduldet zu fühlen. Ein Jahr war
ihre Lanze nun fast beisammen. Das war genug Zeit, sich kennenzulernen. Alle wussten, dass sie anders war, auch wenn außer Luc niemand ihr Geheimnis kannte.
Sie gab sich keine große Mühe zu verheimlichen, dass sie nicht zu Tjured betete. Gewöhnlich ließ man sie in Ruhe. Sie war halt eine Fjordländerin. Von diesen Barbaren konnte man nicht erwarten, dass sie ihr Heidentum so schnell vergaßen. Es steckte ihnen tief im Blut. So dachten sie, das war Gishild klar.
José legte den Kopf schief und lächelte kurz. Sein Gesicht sah seltsam aus. Er hatte ein weit vorspringendes, leicht nach vorn gekrümmtes Kinn. Von der Seite betrachtet, erinnerte sein Antlitz ein wenig an einen Sichelmond. Einen freundlichen Mond, der in der Ferne blieb, sie sah, aber sie doch nicht behelligte.
Der Choral endete. Maximiliam blickte sie immer noch finster an, aber er wagte es nicht, die feierliche Stille zu stören, die inmitten der Baugerüste des halbfertigen Turms eingekehrt war. Selbst die Vögel und der Wind schwiegen still, als wollten sie Abschied nehmen von Daniel.
Es war gut, der Toten in Ehren zu gedenken. Aber jetzt ging es um Luc! Daniel war gegangen, ihm konnte keiner mehr helfen. Mit jedem Herzschlag, den die Stille fortdauerte, wurde sie Gishild unerträglicher. Es musste über die Lebenden gesprochen werden!
»Was werden wir tun, um Luc zurückzuholen?«
Drustan sah sie scharf an, und Maximiliam machte ein Gesicht, als hätte er sie am liebsten mit Blicken getötet.
»Er ist in Gottes Hand«, sagte Drustan, und seine sonst so schöne Stimme klang spröde.
»Nein, er ist in der Hand von Leon. Wir können …«
»Gar nichts können wir!«, entgegnete ihr Lehrmeister
aufgebracht. »Glaubst du wirklich, Leon schert es, was du denkst? Er ist nahe bei Gott, näher als irgendeiner von uns. Er ist der Auserwählte, der Erste im Glauben … Unser Primarch! An ihm zu zweifeln heißt an Gott selbst zu zweifeln. Aber was will man von dir schon erwarten – von einem …« Er brach ab.
Alle Novizen waren ein Stück von ihr zurückgetreten. Sie stand allein.
»Von einem Heidenmädchen? Wolltest du das sagen, ehrwürdiger Magister?«
»Ich wollte sagen, dass so, wie Leon unter allen von uns Gott am nächsten ist, so bist du am weitesten von ihm entfernt! Maße dir nicht an, über Dinge zu urteilen, die du nicht begreifst!«
»Was gibt es da zu begreifen? Wir wollten zueinander wie Brüder und Schwestern sein. Wir wollten uns beistehen!« Sie sah die anderen Novizen an. Außer Maximiliam wichen sie alle ihrem Blick aus, selbst die widerspenstige Bernadette. »Habt ihr vergessen, was wir uns in der Geschützkammer geschworen haben? Wir wollten den Makel auf unserem Schild wie ein Ehrenzeichen tragen. Habt ihr denn kein Herz? In dieser Stunde vielleicht wird über Luc geurteilt. Er ist einer von uns! Manche empfinden ihn womöglich als einen Makel in den Reihen der Neuen Ritterschaft. Ich weiß nicht, was man ihm vorwirft … Aber ich weiß, dass er in diesem Moment jede Stimme braucht, die zu seinen Gunsten spricht. Wir sollten nicht hier um ein Grab stehen. Alle schönen Worte werden Daniel nicht mehr lebendig machen. Wir sollten im Hof der Ordensburg stehen. Wir sollten nach Leon rufen. Alle! Wir sollten ihm zeigen, dass wir wirklich Brüder und Schwestern sind und wir keinen aus unseren Reihen aufgeben! Nicht einmal, wenn der Primarch es einfordert!
Ich weiß nicht, in welchem Geiste ihr erzogen seid. Ihr kommt aus allen Provinzen des Kirchenstaates. Dort, wo ich herkomme … dort, wo die Heiden herrschen, gibt es nichts, das stärker ist als ein Wort. Wer sein Wort nicht hält, der gibt seine Ehre auf. Ich wäre lieber tot als ehrlos! Wie steht es mit euch?«
Joaquino wollte vortreten und auch Esteban und Raffael, doch Drustan hielt sie mit einer harschen Geste zurück. »Ich wünsche mir den Tag zu erleben, an dem du mit solcher Inbrunst von Tjured sprichst. Mach es deinen Brüdern und Schwestern nicht so schwer! Glaubst du denn, ihre Herzen sind nicht bei Luc?«
»Herzen sind heute nicht genug! Auf dem Burghof sollten sie stehen! Sie sollten ihre Stimme erheben für Luc!«
»Es ist leicht zu fordern, füreinander einzustehen. Aber du, denkst du auch an den Preis, den deine Brüder und Schwestern dafür bezahlen würden, wenn sie mit dir kämen? « Der Zorn war aus Drustans Stimme
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