Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
gewichen. Er sprach nun leise und eindringlich. Fast klang er traurig. »Ich weiß, welchen Preis ihr schon jetzt entrichten müsst. Ich weiß um den Makel, der euch alle, deutlich sichtbar für jeden, ein Leben lang begleiten wird. Hast du das Recht, deinen Brüdern und Schwestern eine weitere Bürde aufzuladen, Gishild?«
Die Novizen sahen einander betroffen an. Sprach Drustan von dem Wappenschild, den ihre Lanze bald erhalten würde? Was meinte er?
»Horche in dein Herz, Gishild. Würdest du für jeden hier tun, was du von ihnen verlangst? Für Maximiliam, der dich so finster anschaut? Für Ramon, dem du wohl nie deine Liebe schenken würdest, obwohl er ein gutes Herz hat? Würdest du für sie auf den Hof der Ordensburg gehen und die
Stimme erheben? Sind sie und du wirklich gleich, Gishild? Ich weiß, dass du auf der Windfänger an Flucht gedacht hast. Alle anderen hier sind stolz darauf, in Valloncour zu sein. Aber du fühlst dich wie eine Gefangene. Und was für die anderen ihr ganzes Leben bedeutet, das, dem sie sich mit Leib und Seele verschrieben haben, ist für dich nur eine Last, die du am liebsten abstreifen würdest. Hast du das Recht, von ihnen etwas zu fordern, Gishild? Zahlt ihr wirklich denselben Preis?«
Die Prinzessin schluckte. Sie fühlte sich bloßgestellt. Sie wusste, wie wahr Drustans Worte waren, und sie konnte in den Gesichtern der anderen Novizen lesen, dass auch sie die Wahrheit erkannt hatten.
»Ich werde gehen«, sagte sie trotzig. »Aber von euch erwarte ich nichts.«
»Ich gehe mit dir«, sagte Joaquino mit fester Stimme. »Nicht um deinetwillen. Ich gehe für Luc. Er ist mein Löwenbruder. Er ist es wert, alles für ihn zu wagen. Das ist der Geist der Ritterschaft. Wenn ich es nicht wagen würde, auf dem Hof zu stehen und meine Stimme zu erheben, dann hätte ich es nicht verdient, jemals die goldenen Sporen zu tragen.«
Bernadette sah ihn verzweifelt an. Sie wagte es nicht, sich ihm anzuschließen. Dafür trat Raffael an Joaquinos Seite. »Mein Ruf ist ohnehin schon ruiniert. Was sollte ich noch fürchten, seit ich die Hälfte der Schüler und Novizen ausgeplündert habe?« Er lächelte hinreißend. »Ich werde mit dir gehen.«
»Ich auch!«, sagte René mit seiner kristallenen Knabenstimme.
»Nein!« Drustan stellte sich vor die drei Jungen. »Nicht schon wieder! Diesmal ist der Preis nicht ein paar Schläge
auf die Fußsohlen. Geht das nicht in eure verdammten Dickschädel, Löwen? Es ist wunderbar, dass ihr so zusammensteht, aber ich werde euch nicht gemeinsam in den Untergang ziehen lassen! Ihr dummen Kinder! Ihr begreift gar nicht, was ihr verspielt.«
»Unsere Ehre, wenn wir bleiben!«, widersprach Joaquino.
Drustans Ohrfeige kam ebenso überraschend wie heftig. Joaquino taumelte zurück und griff sich an die rot glühende Wange.
»Die war dafür, dass du mich als ehrlos hinstellen wolltest. « Der Magister streckte die Finger und ballte sie zur Faust. Offensichtlich schmerzte seine Hand. »Ich bleibe nicht hier, weil ich ein Feigling bin. Glaubt ihr wirklich, euer Aufmarsch würde Leon beeindrucken? Für wen haltet ihr euch? Für die sieben Heptarchen? Lucs Schicksal liegt allein in Gottes Hand. Und Gott weiß, wie sehr ihr euren Bruder liebt und was ihr für ihn zu tun bereit seid. Ihr müsst nicht gehen, um ihm oder euch etwas zu beweisen. Bleibt!«
»Du wolltest doch, dass ich André Griffon lese«, sagte Gishild herausfordernd. »Er schreibt: Misstraue deinem Verstand, er ist der Hort niederer Gefühle. Gehorche deinem Herzen, denn dort wohnt Gott. Was sagt dir dein Herz, Drustan? «
Gishild war überrascht zu sehen, wie sehr ihre Worte den Magister berührten. Sein Mundwinkel zuckte. Mehrmals ballte er die verbliebene Hand zur Faust und streckte die Finger dann wieder. Ihr alter Lehrer Ragnar hatte Gishild unterwiesen, wie die Macht der Worte zu gebrauchen war. Mit viel Geduld hatte er sie geschult, weil sie einst vielleicht eine Königin sein würde. Und eine Königin regierte üblicherweise nicht mit dem Schwert. Ihre Waffen waren Worte. Und
recht gesetzt, vermochten sie tiefer zu schneiden als jedes Schwert, hatte er stets behauptet. Nun sah Gishild zum allerersten Mal, wie wahr diese Behauptung war. Drustan hätte kaum mehr leiden können, wenn sie ihm einen Schwerthieb versetzt hätte. Es traf sie zutiefst, ihn so wehrlos seinen Gefühlen ausgeliefert zu sehen. Sie hatte nicht geahnt, dass ihm André Griffon und dessen Lehren so viel bedeuteten.
»Mein
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