Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
Die Wunden, die er der Seele des Jungen geschlagen hatte, waren tief. Was für ein blinder Narr er doch gewesen war!
Er trat auf den Gang hinaus. Leon fühlte sich sehr alt. Selbstzweifel waren ihm eigentlich fremd, aber nach dem Erlebnis mit Luc war er zutiefst aufgewühlt. Sogar der kaltherzige Honoré hatte besser erkannt, was in dem Jungen steckte. Das machte Leon besonders zu schaffen.
Der alte Ordensritter trat vor die Tür des Trollkerkers. So viele Jahre war das Ungeheuer hier gefangen gewesen … Seit er sein Bein verloren hatte, hatte er keinen Nutzen mehr für den Orden gehabt. Man konnte den Novizen doch keinen einbeinigen Troll vorführen, um sie auf die Schrecken der Schlachtfelder Drusnas vorzubereiten. Nhorg hatte seine Zeit überlebt. Es war gewiss besser für ihn gewesen, auf diese Weise dem Orden noch ein letztes Mal zu dienen, statt noch lange in dem Kerker dahinzuvegetieren. Und der verdammte kleine Lutin … Um den war es nicht schade!
Er öffnete die schwere Kerkertür und wollte Abschied von Nhorg nehmen, als sich kleine Hände um seine Beine krallten. »Bitte, holt mich hier heraus, Herr. Bitte, ich werde alles tun, aber lasst mich nicht hier!«
Das Fell des Lutin war weiß geworden. Der kleine Fuchsmann weinte blutige Tränen. Auch seine Lefzen waren blutig, er hatte sie zerbissen. Der Kobold zitterte unkontrolliert am ganzen Leib. Leon war versucht, sein Schwert zu ziehen und ihn einfach niederzumachen.
»Bitte, Herr!« Die blutigen Augen sahen ihn schreckensweit an. »Bitte. Es hat in mein Innerstes gegriffen. Die Kälte … Es ist … Ich werde euch nach Albenmark führen, wenn ihr es wünscht. Aber bitte, tut das nie wieder. Lasst mich nicht sterben wie Nhorg! Ich will dein treuester Diener sein. Dein Sklave. Alles.«
DER TAUSCH
Gishild stand am Fenster und blickte auf den Hof mit den Pferdeställen hinab. Das Feuer war gelöscht. Am Turm, wo der Heuhaufen gelegen hatte, reichte eine dunkle Rußfahne bis fast zu den Dachbalken hinauf. Es hatte nicht viel gefehlt, und er wäre in Brand geraten. Was für eine Strafe sie wohl erwartete? Sie vermochte es sich nicht auszumalen. Mit hängenden Schultern stand sie dort.
Bruder Alvarez musste in einem der Kerker gewesen sein. Sie hatte ihn nicht einmal kommen sehen. Warum musste ausgerechnet er sie immer erwischen? Schon auf der Windfänger …
Er war nett für einen Ordensritter. Dass er schlecht von ihr denken würde, machte ihr etwas aus. Bei den anderen Rittern wäre es ihr egal gewesen.
Das eisige Gefühl in ihrem Bauch war gewichen. Zumindest hatte der Brand bewirkt, dass Luc im Augenblick nicht mehr in Gefahr war. Sie hatte ihn gerettet … Wo war er wohl? Wie ging es ihm? Würden sie ihr erlauben, ihn noch einmal zu sehen?
Die Tür zu der winzigen Kammer, in der sie eingesperrt war, öffnete sich, und Leon trat ein. So wie der alte Ritter aussah, hatte sie sich immer Firn, den Gott des Winters, vorgestellt. Groß, von massiger Gestalt, mit wallenden weißen Haaren und einem mächtigen weißen Bart, der weit auf die Brust hinabreichte. Der Primarch trug eine weiße Robe und hatte ein Schwert umgegürtet. Nur die grässliche Narbe, die sein Gesicht spaltete und seine Lippen verunstaltet hatte, gab es in ihrem Bild vom Wintergott nicht.
Gishild hatte das Gefühl, dass es in der Kammer kälter wurde, als Leon eintrat. Sie sah ihn herausfordernd an.
»Nun, Brandstifterin … Hast du mir etwas zu sagen?«
Sie zuckte mit den Schultern und versuchte gelassen zu wirken, aber dabei hatte sie ganz weiche Knie. Sie stützte sich mit einer Hand auf das Fenstersims. »Ja, ich war es. Ich leugne nichts.«
»Weil du nichts bereust, nehme ich an.«
»Es ist ja nicht viel passiert.«
Der Primarch trat neben sie ans Fenster und betrachtete die Rußspuren am Turm. »Es ist wohl kaum dein Verdienst, dass es nicht zu einem Unglück gekommen ist. Der Turm hätte Feuer fangen können. Oder die Ställe.«
»Ich habe mitgeholfen, die Pferde zu befreien.«
»Wie edel!«
Gishild war zunehmend verstört von Leons Art. Sie hatte damit gerechnet, angeschrien und verprügelt zu werden. Leons ruhige Wut machte ihr mehr Angst, als jeder lautstarke Zornesausbruch es vermocht hätte.
»Woher wusstest du, dass sich keines der Pferde ein Bein bricht? Dass keiner der Stallburschen niedergetrampelt wird? Woher wusstest du, dass kein Pulver im Turm lagert? Woher wusstest du, dass der Palast nicht durch fliegende Funken in Brand gerät? Was war dir all
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