Die Albenmark: Elfenritter 2 - Roman
Sie hatte einen langen, sanft gebogenen Grat erschaffen, der parallel zum Ufer verlief. Ein Schritt zu weit nach Norden, und man würde von der Unterströmung gepackt und in die Tiefe gerissen werden. Selbst ein sehr guter Schwimmer hätte dann Schwierigkeiten, dem Fluss zu entkommen.
Deutlich sah Gishild die Wachfeuer auf der östlichen Landspitze der Insel. Ihr Licht reichte weit bis auf das Wasser hinaus. Dort, wo der Fluss seicht war, konnten die Wachposten ihn gut einsehen. Sie durften den Feuern nicht zu nahe kommen, sonst würde ihr Angriff scheitern.
Gishild hatte ein ungutes Gefühl. Sie hatte Luc von dem Grat im Fluss erzählt. Von der Möglichkeit, bei Nacht einen Angriff von unerwarteter Seite zu führen. Sie brauchten diesen Sieg!
Die Prinzessin blickte zurück. Das markante Gesicht des Capitano konnte sie gerade noch erkennen. Sein Schnauzbart hing schlaff herab. Obwohl ihn sein Knie peinigte, hatte er es sich nicht nehmen lassen, mit seinen Männern zu gehen. Er lächelte. Arturo hielt eine Arkebuse hoch über dem Kopf. Um sein rechtes Handgelenk hatte er die Lunte der Waffe gewickelt, um sie trocken zu halten. Am Ende, das herabhing, glomm blass ein winziges rotes Glutauge. Diese Glutaugen, das war alles, was man von den Soldaten sehen konnte. Wie rote Glühwürmchen, die über dem Wasser tanzten, sahen sie aus. Sie alle folgten Gishild, ängstlich darauf bedacht, nicht vom Pfad abzukommen, auf dem sie schritt – jenem Pfad, von dem sie glaubten, dass er sie zurück zu Ruhm und Ehre bringen würde.
Sie musste es schaffen! Gishilds nackte Füße tasteten in den Schlamm. Sie spürte den eisigen Griff der Strömung. Nicht weiter nach rechts!
Die Schatten der Wachen zeichneten sich deutlich vor dem Licht der Wachfeuer ab. Gishild konnte einen der Drachen erkennen. Wenn der Kerl nur nicht in ihre Richtung sah! Ein Nebelschleier nahm ihr den Blick aufs Ufer. Sie atmete erleichtert aus. Wenn sie ihn nicht sah, dann konnte er sie ganz unmöglich entdecken!
Ihr Fuß stieß gegen einen scharfkantigen Stein. Sie biss sich auf die Lippen. Fast hätte sie geflucht. Wären sie doch nur endlich am Ufer! Zweihundert Schritt noch, dann waren sie weit genug von den Wachfeuern entfernt, um auf die Insel einschwenken zu können.
Das Schicksal war ihnen gnädig. Es war Neumond. Eine dunklere Nacht hätten sie für ihren Angriff nicht finden können. Es würde alles gut gehen! Luc war ein Glückskind, das sagten immer alle.
Gishild tastete sich weiter vorwärts. Gleich kam die tückischste Stelle. Dort war nur ein schmaler Grat geblieben, auf dem sie gehen konnten. Auf beiden Seiten davon war das Wasser zu tief, um noch stehen zu können. Sie spürte, wie der Schlamm felsigem Untergrund wich. Dies war der gefährlichste Abschnitt. Am Felsen teilte sich die Strömung. Wer hier einen Fehltritt machte, war verloren.
Wieder blickte sie zurück. Der Nebel hatte die lange Reihe der Soldaten gänzlich verschluckt. Nicht einmal mehr die glimmenden Lunten waren zu erkennen. Erneut beschlichen Gishild Zweifel. Wagten sie zu viel für ihren Sieg?
Es war zu spät, um noch umzukehren, rief sie sich in Gedanken zur Ordnung. Jetzt mussten sie es zu Ende bringen. Die Kälte des Wassers ließ ihre Beine langsam taub
werden. Bald würden Krämpfe kommen. Sie mussten zum Ufer. Schnell!
Gishild beschleunigte ihre Schritte. Hoffentlich hielten die anderen durch. Ihre Füße fühlten sich seltsam fremd an. Hölzern, so als seien sie nicht mehr Teil ihres Körpers. Wie lange konnte sie ihnen noch trauen? Nur an das Ufer denken !
Durch den verfluchten Nebel konnte sie fast nichts sehen. Es war mehr als ein halbes Jahr her, dass sie den verborgenen Weg im Wasser entdeckt hatte. Immer wenn Luc auf lange Reisen geschickt wurde, erlaubte man ihr, sich etwas freier auf der Halbinsel zu bewegen. Allzu oft war er fort! Und sie hatte Valloncour von einem Ende zum anderen durchstreift. Sie kannte es von der Tjuredsforke bis zur Schwarzwacht. Meistens ritt sie allein. Wenn Luc fort war, dann fiel es ihr schwer, in Gesellschaft der anderen Löwen zu sein. Sie fühlte sich fremd, trotz all der Jahre, die sie nun schon unter den Rittern lebte. Und in den Neumondnächten, wenn Drustan den Turm verließ, stieg sie immer noch auf ihren Hügel. Sie hoffte nicht mehr darauf, dass Silwyna oder Fenryl kommen würden, um sie zu holen. Die Elfen hatten sie aufgegeben! Und wie sollte sie es ihnen verdenken? Wer sie beobachtete, wie sie mitten unter den
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