Die Albertis: Roman (German Edition)
sieben!» Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.
Als Anne und Paul am Abend einen Spaziergang machten, warf sie ihm vor, dass er zu harsch reagiert habe. Paul vertrat die Meinung, dass der Fall zu ernst sei, als dass man mit Freundlichkeit und Weichheit hätte reagieren können. Dazu kam, dass er sich insgeheim Vorwürfe machte: War Anuschka so in Aufruhr, weil sie seine Trennung von Sybille nicht verkraftet hatte? War das schnelle Zusammenziehen von Anne und ihm schuld daran? Hätte man in den vergangenen Monaten mehr mit den Kindern reden, besser auf sie eingehen und aufpassen sollen? Ein wenig von diesem schlechten Gewissen spürte auch Anne, doch sie versuchte, ihm seine Besorgnis auszureden. Die Dinge lagen nun einmal so, und nichts ließ sich mehr rückgängig machen.
Die Geschichte verfolgte die Familie die nächsten Tage ohne Unterlass. Paul schrieb Anuschka krank und Anne fuhr zur Schule, um das Mädchen zu entschuldigen. Die medizinischen Untersuchungen hatten ergeben, dass Anuschka vollkommen gesund war, sie hatte die Wahrheit gesagt, denn in ihrem Körper waren keine Drogen nachzuweisen. Doch der Schock saß tief. Anuschka blieb auf ihrem Zimmer und war durch nichts dazu zu bewegen herauszukommen. Sie wollte weder mit der Familie essen noch spazieren gehen, noch sonst irgendetwas unternehmen. Nicht einmal mit Sybille mochte sie reden. Paul hatte sie am nächsten Tag in Ruths Haus aufgesucht und ihr alles berichtet. Sybille war sofort gekommen, es war das erste Mal seit Monaten, dass sie und Anne miteinander sprachen, wenn auch nur kurz und nur über den Ecstasy-Fall. Sie hatte ihrer Tochter ein paar liebevolle Zeilen geschrieben, sie ermutigt, wann immer sie möge, sie und Ruth zu besuchen. Anne war gerührt, wie solidarisch die jungen Leute waren. Täglich klingelte das Telefon, und nahezu jeden Tag kamen Klassenkameraden oder Freundinnen vorbei, brachten Geschenke mit, Tees, Bücher, Stofftiere, Süßigkeiten oder selbst verfasste Gedichte, es war ein Reigen von Romantik, der Anne an ihre eigene Jugend erinnerte und ihr zeigte, dass selbst diese angeblich so coole Generation genauso naiv und gefühlvoll war wie zu Annes Jungmädchenzeiten, und dabei längst nicht so erwachsen, wie sie immer taten.
Vor allem Laura, Luis, Edward und Pavel standen Anuschka zur Seite und halfen ihr über die schwierigen Tage hinweg. Laura schenkte ihrer Schwester das Armband, das sie von Ebba bekommen hatte, weil dem Plastikbeutel, in dem das Kettchen gelegen hatte, ein Zettel beilag, der erläuterte, dass Hämatit – Blutstein – für gute Laune sorgen sollte: Schützt vor schlechter Laune und Depressionen, stand auf dem Beipackzettel. Anuschka freute sich darüber und streifte den Glücksbringer sofort über ihr Handgelenk.
Ihre größte Sorge galt Stivi. Um ihn zu besuchen, musste sie, so fand Dr. Kötter in Pauls Auftrag heraus, Tage im Voraus einen Besuchsantrag stellen. Das tat sie, doch ehe sie die Genehmigung erhielt, war Stivi wieder auf freiem Fuß. In ein paar Monaten würde ihm der Prozess gemacht werden, doch weil er nicht vorbestraft war und erst seit kurzem den Weiterverkauf von Ecstasy-Pillen betrieb, und zudem Reue gezeigt und versprochen hatte, nie wieder zu dealen, standen seine Chancen nicht schlecht, dass er mit einer Geld- oder Bewährungsstrafe davonkommen würde. «Ich weiß, dass ich totale Scheiße gemacht habe! Es ist Scheiße, dass ich Anuschka und Sie da mit reingezogen habe. Tut mir Leid», erzählte er Anuschka, Anne und Paul, als er gleich am folgenden Tag vorbeikam und sich für alles entschuldigte. Er brachte einen Blumenstrauß für Anuschka mit.
«Warum tut man so was?» So schnell wollte Paul ihn nicht rauslassen. «Du bist doch kein Junkie, oder?»
«Es ist ja nicht so, dass ich süchtig bin oder so. Die Geschichte ist eigentlich total einfach: Der Typ, von dem ich die E habe, kommt da ganz günstig ran. Er verkaufte sie mir billig und ich konnte die Dinger mit Gewinn weiterverkloppen. Ganz normales Geschäft eben. Ich war irgendwie süchtig danach, wenn schon von Sucht die Rede ist, Geld damit zu machen. War ganz easy. Hat ja auch gut geklappt.»
«Kann man wohl sagen.»
«Sie brauchen sich keine Gedanken zu machen, Herr Doktor Ross.» Er legte den Arm um Anuschka, die neben ihm auf dem Sofa saß. «Von nun an passe ich auf sie auf.»
Er wirkte entzückend zerknirscht, fand Anne.
«Ich will auch mit diesen ganzen Typen nichts mehr zu tun haben, von denen hat sich doch
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