Die Albertis: Roman (German Edition)
keiner darum geschert, ob ich im Knast war oder nicht, oder wie es meiner Kleinen geht. In solchen Situationen kriegt man eben mit, auf wen Verlass ist und auf wen nicht. Er seufzte. «Ich wollte Ihnen auch noch danke sagen, dass Sie Ihren Anwalt geschickt haben, und überhaupt, wie Sie so damit umgehen, ganz anders als meine Eltern. Ich bin Ihnen echt dankbar!»
Paul nickte. «Ist schon okay.» Er guckte in den Garten hinaus. Der Rasen war viel zu hoch. Das Unkraut auf den Beeten wucherte. Die Büsche hätten längst gestutzt werden müssen. Überall lag altes Laub und von Frühlingsstürmen heruntergebrochene Äste. Herr Jepsen, ein Rentner aus der Nachbarschaft, der sich seit Jahren ein wenig Geld dazuverdiente, indem er die Gartenpflege übernahm, war seit ein paar Wochen krank.
«Sie können es wieder gutmachen!», meinte Paul an Stivi gewandt, stand auf und zeigte hinaus. «Der Rasen muss gemäht werden und es gibt reichlich zu tun draußen.»
«Kommt jetzt Arbeit im Straflager?», fragte Anuschka.
«Dir würde das auch ganz gut tun, blass wie du bist: frische Luft und Gartenarbeit!»
Stivi wirkte wie befreit: «Gerne! Machen wir!»
Er schnappte sich seine Freundin, und keine halbe Stunde später sah man ihn mit nacktem Oberkörper in der milden Sonne den Rasen mähen, während Anuschka das uralte Laub auf dem Weg zum Geräteschuppen harkte. Sie lachten und alberten herum und bewarfen sich mit Gras.
Anne beobachtete die beiden erleichtert.
Es sollte das letzte Mal sein, dass sie Anuschka und Stivi zusammen sah.
KAPITEL 12
Pavel
Luis! Pass auf, habe ich gesagt! Warte, bis ich richtig eingeparkt habe!» Hektisch sah Anne nach hinten auf den Rücksitz.
Die ganze Fahrt über von Ahrensburg nach Hamburg hatte Luis nur auf seinen Gameboy gestarrt, wie ein Kaninchen in Hypnose, und Pokémon gespielt. Grauenhaft, eine Pest. Pling, pling, pieps, klingel ... es war nicht zum Aushalten, waren die alle doof, diese Kinder? Und jetzt, wo sie endlich im Begriff war, den Volvo in die schmale Parklücke auf dem Supermarktplatz zu zwängen, schnallte er sich ab und riss einfach die Beifahrertür auf!
«Merkst du eigentlich noch was?»
«Nö!» Er zog die Tür wieder zu.
«Schalte dieses Ding aus! Oder es segelt auf den Müll, das schwöre ich dir!» Sie stellte den Motor ab und stieg aus. Dann ging sie nach hinten und öffnete die Kofferraumklappe, um ihre Basttasche herauszunehmen. Ihr Sohn, dieses Miststück, blieb sitzen. Sie klopfte gegen die Scheibe und bedeutete ihm mit dem Zeigefinger, er möge aussteigen. Sie war angestrengt. Sie hatte unendlich viel mit den Geburtstagsvorbereitungen für Pavel zu tun, und lange Autofahrten machten sie nervös. Noch immer kaufte sie in diesem Supermarkt ein, wie damals, als sie noch in Hamburg gewohnt hatte. Es war ein ehemaliges Straßenbahndepot, das vor zwanzig Jahren umgebaut worden war. Man parkte in großen, überdachten Hallen. Abgase, Motorenlärm, Gehupe, quietschende Reifen. Massen von Menschen rollten ihre Einkaufswagen durch gläserne Gänge, bis man in die leicht abgesenkte, fußballplatzgroße Einkaufsebene gelangte. Eine seltsame Atmosphäre herrschte hier. Gier, Eile, Sparsamkeit: Alles kam zusammen. Der Geruch nach frischem Brot und der Süße überreifer Früchte; Schweiß, Parfüm, Druckerschwärze, Waschpulver, Käse und Fisch. Leben, rastlos und durchgeplant, wie in einem Ameisenhaufen. Kleine Läden, die das Angebot in den Regalen erweiterten: ein Bäcker, ein Schuster, ein Blumengeschäft, ein Videoverleih, ein Fotoshop, ein Würstchenstand. Eine lange Reihe mit Kassen, an denen schlecht bezahlte Frauen unermüdlich und bienenflink Beträge eintippten. Ohne Ende glitten die Waren über die Fließbänder, wurden auf der anderen Seite in knisternde Plastiktüten eingepackt. Getapse, Geschlurfe, Gerenne. Das andauernde Klappern der Einkaufswagen. Stimmengewirr, Kindergeschrei, schimpfende Mütter, Männer, die pöbelten. Immer wieder Durchsagen kalter Stimmen: Die dreizehn bitte, die dreizehn; die vier an siebenundfünfzig; Frau Hoffmann bitte ans Telefon, Frau Hoffmann bitte.
Anne mochte diesen Supermarkt. Das Angebot war überwältigend, die Preise niedrig, die Macht der Gewohnheit trieb sie hierher, vor allem aber hasste sie es, in Ahrensburg in den Geschäften einzukaufen, die Sybille immer frequentiert hatte. Einmal war sie bei Feinkost-Boy in der Fußgängerzone gewesen, wo sie Ruth Johanssen gesehen hatte, die sie ebenfalls bemerkte, sie aber
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