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Die Albertis: Roman (German Edition)

Die Albertis: Roman (German Edition)

Titel: Die Albertis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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geflissentlich übersah, als wäre sie Abschaum. Anne kam es vor, als würde sie in allen Läden beäugt und behandelt wie eine Fremde: Das ist doch die Neue vom Doktor!
    Hier im Supermarkt konnte sie unbeobachtet und unbehelligt ihre Einkäufe erledigen. Sie hatte einen Einkaufszettel gemacht und wusste genau, was sie wollte. Doch Luis blieb an jeder Ecke stehen, fasste alles an, wollte alles haben, vor allem Zeitschriften wie Bravo und Kicker, Süßigkeiten, Brause, Chips, Spielzeug. Immer lief der Einkauf nach demselben Muster ab: Luis packte ein, ohne zu fragen, sie packte wieder aus, ohne zu kommentieren.
    Anne steuerte als Erstes die Waschmittelabteilung an. Luis wollte den Wagen übernehmen. Sie erlaubte es ihm. Bei den Weinregalen blieb Anne stehen und überlegte, ob sie ein paar Flaschen günstigen Gavi di Gavi kaufen sollte, und Roten dazu, denn Pavel hatte zu seinem Achtzehnten ein paar Freunde eingeladen, sie wollten, sofern das Wetter es an diesem Junitag zuließ, im Garten grillen. Sie entschied sich für zwei Kisten Weißwein und eine Kiste Rotwein. Dann steuerten sie die Fleischtheke an, packten Bratwürste ein, Rippchen und Steaks. Luis rammte den Wagen einer dicken Frau in die Waden.
    «Bist du bescheuert?», schimpfte sie.
    «'tschuldigung!», erwiderte Luis erschrocken.
    «Luis! Beweg dich!»
    Er schob den Wagen weiter, folgte seiner Mutter, beobachtete unablässig die anderen Kunden, guckte, was sie einkauften, belauschte ihre Gespräche, studierte, was sie anhatten, wie sie sich bewegten, wer mit wem zusammen war. Für Luis war es das Paradies. Er liebte es, mit seiner Mutter einkaufen zu gehen. Hinter dem nächsten Regal blieb Anne abrupt stehen. Wolf. Er stand mit dem Rücken zu ihr und hangelte sich an einer Regalwand hoch, um an eine bestimmte Sorte Müsli zu gelangen. Anne erkannte ihn sofort: seine am Po abgewetzte dunkelbraune Kordhose, die ihm im Laufe der Zeit zu weit geworden war, das bestickte Cowboy-Jeanshemd, das er vor Jahren von einer USA-Reise mitgebracht hatte und das er so liebte. Sie war fast gerührt, ihn zu sehen, zu bemerken, dass seine Haare ein wenig grauer geworden und hinten zu lang waren – wenn sie noch zusammenleben würden, hätte sie ihn längst zum Friseur geschickt. Das war immer ihre Aufgabe gewesen, er war wie ihr vierter Sohn, den man zum Zahnarzt jagen musste, sagen, was er anziehen sollte und ermahnen musste, seine Finger- und Fußnägel zu schneiden. Ihr Mann. Er wirkte irgendwie verloren in diesem Supermarkt, und sie wusste, dass er das Einkaufen hasste. In ihr stieg wieder ein Gefühl von Mitleid und schlechtem Gewissen auf. Sie hatte ihn verlassen, allein gelassen. Ihr erster Impuls war, zu ihm zu gehen, ihn zu umarmen und ihm zu gestehen, dass sie ihn noch immer gerne hatte. Doch dann wieder hatte sie Angst davor, Angst ihm zu begegnen. Anne wollte kehrtmachen. Als Luis um die Ecke kam, entdeckte auch er seinen Vater. Er ließ den Wagen stehen und rannte auf ihn zu.
    «Papa», rief er, «Papa!»
    Wolf ließ vom Müsli ab und drehte sich um. Als er Luis sah, strahlte er und breitete seine Arme aus. Sein Sohn stürmte auf ihn zu und die beiden drückten und küssten sich. Er wollte ihn hochwerfen, aber dazu war Luis inzwischen zu groß und zu schwer geworden.
    «Na, du junger Mann?», hörte sie ihn sagen. Über Luis' Schulter hinweg blickte Wolf zu ihr hinüber. Es nützte nichts. Sie musste ihn begrüßen.
    «Hallo Wolf.»
    «Anne! Was machst du denn hier?»
    «Rate.» Anne streckte ihm die Hand entgegen. Er ergriff sie, hielt sie einen Moment fest.
    Pause.
    «Du hast da was!», sagte Wolf und zeigte auf ihren V-Ausschnitt-Pullover. Sie sah an sich herunter und entdeckte in Taillenhöhe einen schwarzen Fleck.
    «Oh», sagte sie. «Das muss vorhin an der Tankstelle passiert sein.»
    «Nicht reiben!», erklärte Wolf. «Nimm zu Hause Gallseife und etwas lauwarmes Wasser, das hilft.» Er lächelte sie an.
    Eigentlich sieht er ganz zufrieden aus, dachte sie. Sie lächelte zurück. «Danke Alter Fleckenpapst!»
    Wieder eine Pause. Was sollte man sagen? Übers Wetter reden? Fragen, wie's geht? Kleiner Blick in den Einkaufswagen: Was habt ihr gekauft?
    Luis durchbrach das Schweigen: «Anuschka war im Gefängnis!»
    «Aha.» Wolf sah Anne fragend an: «Was ist das denn nun wieder für eine Geschichte?»
    Anne winkte ab: «Ein andermal, ja? Wir haben es richtig eilig.» Sie fuhr ihrem Sohn über den Kopf. «Der Luis und ich.»
    «Wir kaufen für Pavels

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