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Die Albertis: Roman (German Edition)

Die Albertis: Roman (German Edition)

Titel: Die Albertis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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gerade in dem Moment, als Luis mit einem Arm voller Süßigkeiten um die Ecke gefegt kam. Er bremste ab, glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Langsam schlich er sich an seine Eltern heran. Anne ließ Wolf wieder los.
    «In fifty years or so ... the things will change, you know ...», sagte Wolf, und Zärtlichkeit lag in seiner Stimme. Dann ging er. «Tschüs!», rief er und drehte sich nicht einmal mehr um.
    «Hast du Papa wieder lieb?», fragte Luis.
    «Ich habe ihn immer lieb gehabt, kleiner Floh!», antwortete Anne. «In gewisser Weise.»
    «Ich habe ihn auch lieb», sagte Luis. «In gewisser Weise.»
    «So muss es auch sein, Luis!», meinte seine Mutter. «So muss es auch sein.»
    Zwei Stunden später waren sie wieder in Ahrensburg. Luis klingelte an der Gartenpforte Sturm. Als aus der Gegensprechanlage die Stimme von Edward ertönte, rief er: «Du sollst uns helfen kommen. Wir haben das ganze Auto voll.»
    In diesem Augenblick kam eine Krähe wie ein schwarzes, zerrissenes Tuch von der mächtigen, blühenden Kastanie heruntergeflogen, landete auf der Straße, hüpfte auf den Gehweg und blieb nur wenige Schritte von ihnen entfernt stehen. Sie krächzte und bewegte dabei ihren Kopf mit dem scharfen Schnabel rauf und runter, als wolle sie Worte herauswürgen, bedeutende Worte, eine Botschaft, und während Anne dem Vogel zusah, kam ihr dieser seltsame Satz in den Sinn, den Wolf damals gesagt hatte, an jenem Sommerabend, als alles begann: Die Natur, der Retter der Menschheit, die Natur ist voller Zeichen.
    Ohne Scheu schien die Krähe darauf zu beharren, etwas mitteilen zu wollen. Nun scheuchte sie sie genervt weg mit heftigen Handbewegungen, die sie so lange fortsetzte, bis der Vogel anfing zu flattern und sich dann aufschwang, lautlos fast, und über das Dach des Hauses hinwegflog, dem Garten zu, hinüber über die sumpfige Landschaft, hinüber zu den Wäldern, den unendlichen Wäldern, in denen er verschwand und aus denen er nie wieder zurückkehrte.
    Die Party war ein Erfolg. Sie ging bis in die frühen Morgenstunden. Pavel schien das erste Mal seit dem Umzug glücklich zu sein. Vielleicht hatte er sich auch nur sehr über Ebbas Golf gefreut, aber Anne glaubte, dass ihr Sohn sich mittlerweile wirklich mit dem neuen Familienleben angefreundet hatte. Paul und Anne zogen sich in den halbrunden Wintergarten zurück, einen selbst an Sommerabenden noch lichtdurchfluteten Raum, den Anne besonders mochte. Als Anne gegen elf nach dem Rechten schaute, glühte nur noch ein Rest Kohle auf dem Grill, niemand wollte mehr etwas essen, alle waren pappsatt, sie standen rauchend im Garten, saßen auf Stühlen und quatschten miteinander, einige tanzten, andere spielten Boccia. Es waren rund dreißig Leute gekommen, die meisten waren alte Freunde aus Hamburg. Stivi war auch da, er alberte mit ein paar Mädchen hinten im Garten herum, während Anne sah, dass Pavel mit Anuschka auf der Terrasse tanzte. Sie hatte sich immer mal wieder gefragt, weshalb Pavel eigentlich keine Freundin hatte, und vermutete, er wolle sich nicht binden, nachdem die Beziehung zu seiner Klassenkameradin Marie-Theres vor zwei Jahren von ihr plötzlich beendet worden war. Lange hatte er darunter gelitten, ohne es zu zeigen, er war ohnehin nicht der Typ, der sich, was seine Seelenlage anging, in die Karten gucken ließ. Als sie die beiden sah – Anuschka fröhlich und ausgelassen wie selten, und Pavel offensichtlich von ihr hingerissen –, konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, dass zwischen ihnen mehr war als nur halbgeschwisterliche Zuneigung. Sie berichtete Paul davon, nachdem sie in den Wintergarten zurückgekommen war.
    Er lachte sie aus. «Ich habe eher das Gefühl, sie können sich nicht leiden!»
    «Das war anfangs so. Aber inzwischen ...» Sie machte eine gedankenvolle Pause und forderte dann Paul auf sich vorzustellen, was wohl wäre, wenn ihr Sohn und seine Tochter etwas miteinander anfangen würden. Und wenn sie und Paul dann heirateten. Und wenn Paul schließlich die Jungs adoptierte. Die Vorstellung, Bruder und Schwester gingen zusammen, irritierte sie.
    «Du und deine Phantasien!»
    «Dass wir heiraten?» Sie knuffte ihn. «Reine Phantasie?»
    Er trank einen Schluck Wein. «Wir haben beide ja noch nicht einmal die Scheidung eingereicht. Und du denkst schon ans Heiraten.»
    Das stimmte. Sie dachte ans Heiraten. Oft. Immer wieder stellte sie sich im Stillen die Frage, wie es mit ihr und ihrem Freund weitergehen würde. Nach diesem großen

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