Die Albertis: Roman (German Edition)
esoterisch und wabernd.»
«Hab ich nicht gesagt.» Er verschränkte die Arme vor der Brust.
«Aber gemeint. Wenn ich von meinen Ängsten rede, Paul, dann will ich, dass du das ernst nimmst. Dass du darauf eingehst.»
«Tu ich doch andauernd», murmelte er.
«Wenn es dir zu viel wird, dann ...» Sie besah sich im Spiegel. Komm runter, dachte sie, für dich waren die Aufregungen auch zu viel. «... dann müssen wir eben alles noch einmal überdenken.»
«Was soll das denn nun wieder heißen?»
Sie drehte sich zu ihm um. «Ich weiß schon, woher der Wind weht. Ich bin dir zu unbequem, zu kompliziert, ich schnurre nicht so im Alltag wie deine ständig unbeteiligte Frau! Männer wollen immer die bequeme Variante. Sie wollen Frauen, die schnurren. Die mitlaufen, angepasst sind, brave Hausmädchen und obendrauf noch ein bisschen Hure.»
Paul erhob sich. «So. Nun gehe ich zu Bett. Wir reden morgen weiter.»
«Nein!», schrie Anne. «Das kommt nur, weil du so eitel bist, ich weiß es genau. Du hast dich geärgert, dass ich heute in dem Gespräch mit Sybille eine Sekunde lang dir das Gefühl gegeben habe, ich halte nicht zu dir. Nur weil ich diesen Halbsatz gesagt habe ...»
«Welchen Halbsatz denn schon wieder?» Er ging zur Tür. Dieses Mal hielt sie ihn nicht zurück. Sie folgte ihm ins Schlafzimmer. Er ließ sich aufs Bett fallen und stöhnte genervt auf.
Anne baute sich vor ihm auf: «Weil ich gesagt habe: So einfach geht das nicht, Paul. Das hat dir nicht gepasst. Aber ich finde nun mal: Man muss nicht immer einer Meinung sein, verdammt! Und daraus jetzt abzuleiten: Ich hielte nicht zu dir, ich sei psychowabernd und so weiter: das empfinde ich echt als Beleidigung. Das ist Scheiße!»
Sie guckte ihn an. Er sah zu ihr hoch. Beide sagten nichts.
«Scheiße ist das!», wiederholte Anne, nur noch halb so kraftvoll.
Ein bisschen hat sie Recht, dachte er.
Wenn er jetzt sofort nicht etwas zu seiner Entschuldigung vorbringt, nehme ich meine Decke und schlafe im Gästezimmer, dachte Anne, und morgen ziehe ich gleich aus, fügte sie im Stillen dazu und hätte schon wieder über sich lachen können.
Ich bin eitel, ich habe sie mit Sybille verglichen, sie nervt mich manchmal zu Tode mit ihrer Rechthaberei und ihrem Ständig-den-Dingen-auf-den-Grund-gehen-Müssen, aber ich liebe diese Frau, und ich brauche sie, mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt, dachte Paul.
Das kann ja noch heiter werden, wenn wir erst mal ein paar Jahre Ehe auf dem Buckel haben, dann wird er ein zweiter Wolf, und immer fällt man auf dieselben Typen rein, und ich bin wohl die Frau, die bei ihrem Partner immer wieder auch den Sohn sucht, dachte Anne, aber ich kann nicht anders: ich liebe ihn.
«Sind wir verrückt?», fragte Paul, stützte seinen Kopf in die rechte Hand und sah sie an.
Anne setzte sich zu ihm aufs Bett. «Ich glaube ja!»
«Haben wir keine anderen Sorgen, Anne?»
«Doch.»
«Können wir dann unser Kriegsbeil begraben, ganz tief?»
Wenn du mir Recht gibst: ja!»
Er ließ sich auf den Rücken fallen. «Okay», erwiderte er, «du hast Recht: Ich will, dass du immer zu mir hältst.»
Sie warf sich auf ihn. «Und ich will, dass du immer zu mir hältst.»
Anstatt zu antworten, küsste er sie leidenschaftlich. Vielleicht war die Sache damit vergessen.
Drei Tage später hatte Anne Pavel so weit, dass er bereit war, mit ihr zu Stivis Eltern zu gehen. Eine lange Diskussion war voraus gegangen. Natürlich hatte Pavel Angst davor. Natürlich war auch Paul dagegen. Er empfand es als Quälerei für alle Beteiligten. Eine Nachbarin hatte am Tag nach dem Unfall Anne auf der Straße angehalten und auf den Unfall angesprochen und ihr gesagt, dass sie Stivis Familie kennen würde, weil ihr Mann im selben Betrieb arbeitete wie Stivis Vater: Man würde einen Besuch erwarten, schließlich sei man hier sozusagen auf dem Land, und da gelten andere Gesetze. Nachdem Anne eine halbe Nacht lang darüber gegrübelt hatte, kam sie zu dem Ergebnis, dass die Nachbarin und auch Stivis Eltern vor allem Recht hätten. Pavel musste sich der Sache stellen. Er musste Stivis Familie in die Augen sehen, ihnen sein Beileid aussprechen, sich erklären. Nur so könne er einen Teil seiner Schuld abtragen, vor allem aber sich selbst helfen, das Geschehene zu verarbeiten. Immer wieder redete Paul auf sie ein, und fast hatten sie ihren ersten richtigen Krach deswegen.
«Du und deine Prinzipien. Was soll das bringen? Was können die Pavel sagen, außer ihn
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