Die Albertis: Roman (German Edition)
Arbeitsplatz auf. Das war ihre Höhle, in die sie sich zurückzogen und über deren Eingang stand: Betreten verboten. Frauen, die dagegen verstießen, das hatte sie auch von ihrer Mutter gelernt, mussten einen sehr triftigen Grund haben, sonst drohte Strafe.
«Sie ist weg!», erklärte Anne.
Paul lehnte sich auf seinem mit schwarzem Leder bezogenen Gesundheitsstuhl zurück: «Und? Hat sie Anuschka gleich mitgenommen?»
«Anuschka wollte nicht.»
«So.»
«Sie will bei uns bleiben.» Sie kam zu ihm und strich ihm über die Wange. «Ach, Paul.» Er war schlecht rasiert. Er antwortete nicht, sondern sah aus dem Fenster hinaus in den Garten.
«Ich wollte mit dir über Frau Merk reden. Ich finde, das geht nicht.»
«Das finde ich allerdings auch.»
«Nicht nur, dass sie mir das Leben hier zur Hölle macht ...»
«Sie fliegt raus.» Er drehte sich einmal mit seinem Stuhl um sich selbst, so, als wolle er sich von einer Last befreien. «Wenn das der Dank ist ...»
«Na ja, in der jetzigen Situation, ich glaube, auch für die Mädchen: wäre das ein Schock. Sie sind an sie gewöhnt, mögen sie. Auf jeden Fall aber will ich mit ihr jetzt reden.»
«Meine Unterstützung hast du. Was immer du willst: tu es.» Er kam von seinem Stuhl und umarmte sie.
«Was ist nur los mit uns?», sagte Anne. «Glaubst du auch, es liegt ein Fluch über uns?»
«So ein Unsinn», schimpfte er.
«Ich denke manchmal, dass es eine Strafe ist, weil wir ...»
«Rede nicht so einen Quatsch. Das mag ich nicht. Ich mag nur intelligente Frauen. Nicht so esoterisch wabernde ...», fauchte er sie an.
«Warum bist du eigentlich so aggressiv zu mir? Ich kann doch nichts dafür, wenn deine Frau hier plötzlich auftaucht. Mach mich gefälligst nicht so an!» Wütend, und ohne eine Antwort von ihm abzuwarten, verließ sie die Praxis und machte sich auf in den Keller. Sie war gerade in der richtigen Stimmung zu einem Gespräch mit Frau Merk! Die könnte sich schon mal warm anziehen! Doch als sie die Stufen hinunterging, vollzog sich bei ihr ein seltsamer Sinneswandel. Ihre Verärgerung gegenüber Frau Merk wurde mit jedem Schritt ein wenig schwächer, sie hatte auf einmal Mitleid mit dieser Frau, die ihr so viel angetan hatte. Wie verzweifelt musste man sein, um sich so böse zu verhalten? Wie schwach, um so heimtückisch zu werden? War sie, Anne, nicht die Stärkere, diejenige, der es in Wahrheit gut ging und die alle Fäden in der Hand hatte? Es wäre ein Leichtes gewesen, Frau Merk vor die Tür zu setzen. Aber würde es letztlich nicht doch nur genau das erfüllen, was die Haushälterin schon immer von ihr gedacht hatte? Warum nicht einen Versuch wagen, ihr eine Chance geben, mit ihr reden. Und schließlich: Brauchten sie nicht alle Frau Merk? Wer sollte sonst die ganze Arbeit machen, Haus und Praxis putzen, einkaufen, kochen, waschen, bügeln, die Kinder versorgen und den Garten machen? Als Anne unten angekommen war, hatte sie sich eines Besseren besonnen.
Frau Merk stand wie meistens zu dieser Nachmittagsstunde am Bügelbrett. Und wie meistens hatte sie Annes Blusen beiseite gelegt («Ich habe das leider nicht geschafft, Frau Alberti!») und bügelte voller Inbrunst, mit Liebe und gedankenverloren Pauls Hemden. Als Anne zu ihr kam, in den gekachelten, picobello geputzten Haushaltsraum, in dem es nach Waschpulver roch und ein wenig nach Heizöl, tönte aus dem Kofferradio, das auf dem alten, wackeligen Gartentisch stand, Heimatmusik, Margot und Maria Hellwig sangen unermüdlich von schönen Gärten und Sommersonne, und Frau Merk summte mit. Die Waschmaschine brummte gleichförmig. Hinter ihrer runden Glasscheibe schwappte schmatzend der Seifenschaum, nasse Kleidungsstücke, schwer wie Blei, drehten sich im Kreise. Der Dampf des Bügeleisens zischte. Der Druck, mit dem Frau Merk über den Stoff fuhr, ließ das Bügelbrett klackern. Durch das geöffnete Kellerfenster, das den Blick freigab auf die dunkle Kasematte mit ihren Spinnweben und dem Herbstlaub des vergangenen Jahres, drang Vogelzwitschern, weit, weit entfernt. Es war ein Bild der trügerischen Idylle, das sich Anne darbot, und einen Augenblick verharrte sie und betrachtete es sich. Mit einem Räuspern machte sie auf sich aufmerksam.
Frau Merk erschrak. «Frau Alberti!» Sie stellte das Bügeleisen hochkant ab. «Ich habe sie gar nicht kommen hören.» Frau Merk nahm einen Plastikbügel und ließ das Hemd, das sie nur am Kragen packte, darüber gleiten. «Was kann ich für Sie tun?» Sie
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