Die Albertis: Roman (German Edition)
zur Weihnachtsfeier, auflegen.«
Nun musste auch Judith lachen. »Sie haben recht. Ich werde demnächst mein Aussehen gründlich verändern. Ich werde mich verwandeln in eine spritzige junge Mutter und von den Verehrern meiner Töchter für die ältere Schwester gehalten werden. Na? Haben Sie sich das so vorgestellt?«
»Genau«, sagte Ruth Kleinschmidt. »Genau so habe ich es mir vorgestellt.«
Doch Judith hatte keine Zeit, sich gründlich zu verändern. Sie verlegte Teppichböden, steckte Gardinen auf, dirigierte die Möbelpacker, ließ die Gartenschaukel einbetonieren und zauberte aus dem als Keller missbrauchten Souterrain-Zimmer, durch dessen Türe man direkt in den Garten laufen konnte, einen bunten Traum für einen kleinen Jungen namens Oliver.
Am Ende der Woche – Herr Möllemann war gerade mit seinen Farbeimern und Pinseln abgezogen – saß Judith in der Küche und sah sich um. Die karierten Vorhänge bewegten sich sanft im Wind, ein Strauß Astern leuchtete in der alten Kupfervase, und vier neue Serviettenringe lagen, liebevoll bemalt, auf dem Tisch. Ja, nun war es soweit. Morgen kamen die Kinder, und übermorgen gab es das erste Frühstück. Das erste Frühstück zu viert. Judith lächelte glücklich.
Am Abend spielte sie mit Hubert Schach. Und verlor. Sie verlor immer, doch nicht immer so schnell.
»Wo bist du bloß mit deinen Gedanken?« Er hasste es, allzu leicht zu siegen.
»Ich habe Bammel vor morgen. Was mache ich nun, wenn sie mich nicht akzeptieren? Oder sogar ganz und gar ablehnen?«
»Die Frage ist müßig, da du sie zu spät stellst. Außerdem haben Kinder zu gehorchen. Wenn du sie mit der nötigen Strenge behandelst …«
»Mit der nötigen Strenge?«, wiederholte Judith gedehnt. »Ich weiß nicht. Ich glaube, in erster Linie wird wichtig sein, dass sie wieder ein Zuhause bekommen und spüren, dass man sie mag.«
»Na. Du hast wohl zu viele gefühlvolle Romane gelesen in den letzten Wochen. Die heutige Jugend ist cool und clever. Deine Schützlinge werden nicht so viel übrig haben für deine spät entdeckte Mütterlichkeit.«
»Du redest, als seien sie kleine Monster.«
Er schwieg. »Spielen wir noch eine Partie?«
»Nun sei mal ehrlich, Hubert. Freust du dich kein bisschen, dass unser beider Leben sich ändert und frischer Wind durchs Haus weht?«
»Mein Leben wird sich nicht ändern. Spielen wir nun noch eine Partie oder nicht?«
»Oder nicht«, sagte Judith.
»Willst du fernsehen?«
»Nein, ich will nicht fernsehen.«
»Möchtest du gerne alleine sein?«
»Das bin ich doch schon«, sagte sie. Ein kühler Windstoß drang durch die geöffnete Terrassentür, und sie erschauderte vor Kälte und Traurigkeit.
Konrad und Anna Dehler lagen zu dieser Zeit bereits im Bett. Doch Anna fand keinen Schlaf. »Das Haus wird richtig leer sein ohne die Rasselbande«, meinte sie. »Und Oliver wird mir fehlen. Er ist sehr lieb. Findest du nicht?«
Konrad brummelte Unverständliches.
»Ja, wirklich, ein lieber Junge. Hoffentlich fühlt er sich wohl in München. Er hatte sich hier schon so gut eingelebt … Und im Laden hat er die letzte Zeit auch so nett geholfen«, schob sie vorsichtig nach. Sie drehte sich ein wenig ächzend zur Seite. »Hörst du mir überhaupt zu?«
Doch Konrad hörte nicht zu. Er schlief bereits. Oder tat zumindest so, als schliefe er.
Am nächsten Morgen regnete es in Strömen. Judith starrte aus dem Fenster. Ein paar Spatzen saßen, zerzaust und verfroren, im alten Kirschbaum, die Rosen hatten über Nacht fast alle Blätter verloren, und Olivers neue Schaukel hing traurig und tropfnass zwischen den Holunderbüschen.
Das war ungerecht. Nun wurde nichts aus ihrem schönen Grillfest, zu dem sie auch ein paar Nachbarn einladen wollte. Auch das Eis und die Pfirsichbowle konnte sie jetzt vergessen. Sie hob fröstelnd die Schultern und betrachtete das Foto der Kinder, das in der Wohnzimmervitrine stand und auf dem alle drei lächelten: Claudia, blond und schlank, mit schmalem Gesicht und leuchtend blauen Augen, Steffi, stupsnasig, sommersprossig, mit kühlem, distanziertem Blick und Oliver, der trotz seines Lächelns ernst wirkte und dessen dunkle Brille ihm das Aussehen eines kleinen, besorgten Professors verlieh. Oh, Margareth, dachte Judith. Wenn ich es nur schaffe …
Als ein paar Stunden später Konrads großes Lieferauto vorfuhr, klopfte ihr Herz bis zum Hals.
»Sie kommen«, rief sie Hubert zu und lief hinaus in den Regen. Sie patschte lachend in eine
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