Die Albertis: Roman (German Edition)
Pfütze, die Bluse rutschte aus dem Rockbund, sie umarmte ihren Onkel und die Kinder, schleppte Koffer ins Haus und atmete dann tief durch.
»Puh«, sagte sie ein wenig gekünstelt. »Was für scheußliches Wetter. Kommt nur herein in die gute Stube.«
Claudia und Steffi kräuselten die Lippen. Dann redeten alle gleichzeitig.
»Wo kann ich meine Goldhamster hinstellen? Sie sind noch im Auto.«
»Du hast Hamster? Wie reizend.«
»Ja. Prinz Eisenherz, Robin Hood, die drei Musketiere …«
»Mensch, öde uns nicht schon wieder an mit deinen blöden Viechern. Und wie die stinken!«
»Kinder …«
»Wo ist das Badezimmer?«
»Im ersten Stock.«
»Du meinst diese Nasszelle? Ist fast wie in einem Asylantenwohnheim.«
»Wieso hat Claudia ein so großes Zimmer? Sie liegt doch sowieso nur im Bett. Ich aber …«
»Hallo, Kellerassel. Deine Gemächer sind unten, wie ich gesehen habe.«
»Sind Sie nicht der Regierungsrat, der auch bei der Beerdigung war?«
»Ja, ich …«
»Haben Sie was mit der Judith? Dann gleich heraus mit der Sprache. Ich platze nämlich nicht gern in irgendwelche Zimmer, in denen irgendwelche Männer in irgendwelchen Betten liegen.«
»Guck, Tante Judith, der Hamster mit den schwarzen Pfoten ist Rasputin.«
»Mensch, Kellerassel. Stell die dussligen Käfige woanders hin. Rasputin ist übrigens ein Sexmonster. Er denkt an nichts anderes.«
»Meine armen, armen Schäfchen!« Lilli, deren Freundin Lydia termingerecht gesundet war und die bisher hinter der Gardine ihres Wohnzimmers gestanden und auf eine günstige Gelegenheit gewartet hatte, trat ein. Sie breitete die Arme aus, ihr Gesicht schmückte ein inniges, großmütterliches Leuchten.
»Oh, Großmutter«, feixte Claudia mit tiefer Stimme. »Warum hast du denn so lange Arme …«
Stunden später. Judith nahm leise den Hörer des Telefons auf und wählte.
»Frau Kleinschmidt?«, flüsterte sie.
»Mein Gott, Frau Uhland? Ist etwas passiert?«
»Bitte seien Sie nicht böse … Hoffentlich störe ich Sie nicht. Aber ich …« Judith schluckte. »Ich bin so enttäuscht«, sagte sie dann.
»Was ist los, Kindchen?«
»Alles ist los, und alles ist schiefgegangen.«
»Wieso denn? Wurden die Handwerker nicht fertig?«
»Doch, doch, sie wurden fertig. Und die Zimmer sahen so nett aus, und ich hatte mich so gefreut. Aber nun …«
»Nun?«
Judith setzte sich auf die unterste Treppenstufe. Sie fühlte sich so leer und ausgehöhlt wie Steffis unheimlicher Kürbis, den sie als erstes ausgepackt und über ihre Lampe gestülpt hatte. »Claudia findet ihre alten Kindermöbel blöd, sie will neue haben«, sagte sie erschöpft. »Steffi bockt, weil ihr Zimmer so klein ist und keinen Balkon hat. Oliver will seine Hamster unbedingt alle im Souterrain unterbringen. Lilli will nicht, dass man sie Großmutter nennt, und Hubert stand die ganze Zeit mit seinem ›Siehstduwashabichdirgesagt-Gesicht‹ neben dem Wohnzimmerschrank und betrachtete mich, als sei ich ein kompletter Idiot. Wir konnten nicht grillen, weil es in Strömen goss, Claudia wollte Wein zum Essen, Steffi Sauerkirschensaft, Oliver Coca-Cola. Ich … ich habe solche Angst, dass ich es nicht schaffe.«
»Nun hören Sie mal. Hauen Sie mit der Faust auf den Tisch. Gegessen und getrunken wird, was da ist. Und Ihr Hubert sollte sich was schämen. Machen Sie jetzt einfach ein ›Nunerstrecht-Gesicht‹ und setzen Sie sich durch.«
»Das war nie meine Stärke, wissen Sie.«
»Dann müssen Sie’s lernen. Wie lange haben Sie noch Urlaub? Bis nächsten Mittwoch?«
»Ja. Gott sei Dank.«
»Na, dann auf in den Kampf. Ich habe vier Kinder großgezogen. Ich weiß, wovon ich rede. Es ist ein ständiger Kampf.«
»Ach Gott, hätte ich bloß Ihre Erfahrungen«, sagte Judith und seufzte abgrundtief. Sie verabschiedete sich, ging zurück ins Wohnzimmer und goss sich einen Cognac ein. »This is my day«, sang eine penetrant optimistische Frauenstimme. Der Regen prasselte immer noch gegen die Scheiben.
Ein neuer Morgen. Judith stand, leise vor sich hinsummend, in der Küche. Das Wetter hatte sich beruhigt, die Sonne blinzelte sehr schuldbewusst und verlegen durch eine hellgraue Wolkendecke, und die zerzausten kleinen Spatzen badeten bereits wieder in den Wasserpfützen. Das erste gemeinsame Frühstück, dachte sie. Da war er nun, dieser unschuldig neue Morgen, den sie herbeigesehnt, auf den sie gewartet hatte, der ihr Tun rechtfertigen und sie entschädigen sollte für all den Ärger, den Lilli und
Weitere Kostenlose Bücher