Die Albertis: Roman (German Edition)
näher.
Hektisch nahm Anne Pauls Hemd und warf es ihm zu: «Ich kenne diesen Weg», zitierte sie ihn, «hier geht nie jemand spazieren.»
Kaum hatte sie das gesagt, raste um die Wegbiegung ein Dackel heran, gefolgt von einem Ehepaar beim Sonntagsspaziergang. Anne und Paul strichen ihre Haare und ihre Klamotten glatt und schnappten sich die Teile des zerrissenen T-Shirts.
Der Dackel hatte sie erreicht, kläffte fröhlich und lief weiter zu einem Feldstein, wo er sein Bein hob und pinkelte.
«Guten Tag», sagte der Hundebesitzer höflich im Vorbeigehen und lüpfte seinen Hut. Seine Frau nickte freundlich und nichts ahnend.
«Guten Tag!», erwiderten Anne und Paul wie aus einem Mund. Sie konnten ein Lachen kaum unterdrücken. Er nahm sie an die Hand, zog sie in die andere Richtung mit sich, und sie rannten los. Den ganzen Weg zurück rannten sie, schneller und schneller, als liefen sie vor etwas davon, befreit, als hätten sie etwas Schweres hinter sich gelassen. Atemlos erreichten sie die Holzbrücke. Anne stoppte, hielt sich am Geländer fest. «Halt!», rief sie. «Ich kann nicht mehr. Bin völlig aus der Puste!» Sie rang nach Luft. «Ich bin doch kein Teenager mehr, Mensch.» Sie schnaufte. «Ich habe drei Kinder zur Welt gebracht.»
Er lachte: «Teenager ...»
«Warum lachst du?»
«Ach ...», er winkte ab, «... es gibt doch so Worte, die gibt es einfach nicht mehr. Überbleibsel aus dem vergangenen Jahrhundert ... kennen nur noch so ‹Oldies› wie wir: Teenager ... Gammler ...»
«Gammler?»
Paul lachte aus vollem Hals. «Hast du vorletzte Woche, als ihr hier wart gesagt. Da musste ich schon drüber lachen. Deine Söhne hatten wahrscheinlich keinen Schimmer, wovon du gesprochen hast.»
Sie musste an Ebba denken: «Eilzug ...»
«Hippie ...»
«Randale ...»
«Anarcho ...»
«Pilzkopf...»
«Karacho ...»
«Na, ich glaub das stammt sogar aus dem Wortschatz unserer Eltern. Er stützte sich auf das Geländer und streckte seinen Rücken.
«Ja, wir werden älter ...». Anne wurde ernst. «Und das Leben rauscht an uns vorbei.»
«Findest du, dass das Leben an dir vorbeirauscht?» Er umfasste ihre Hüften. «Findest du das?»
«Nicht!» Er ließ sie los. Sie sah ihn bedrückt an. «Mit Karacho rasen wir in unser Unglück.»
«Was redest du da! Ich bitte dich!»
Anne hatte das Gefühl, sie hätte einen Rausch gehabt und leide nun unter einem Kater. Was war da eben passiert? Was war zwischen ihnen passiert? Wieso war es passiert? Warum hatte sie es geschehen lassen? Weshalb sich nicht gewehrt? Liebte er sie wirklich? Sie konnte es nicht glauben. Doch sie traute sich nicht, ihn das zu fragen. Und vor allem: Was empfand sie für ihn? Und schlagartig war ihr klar: Sie hatte ihn schon immer gern gehabt, im Stillen für ihn geschwärmt, und jetzt, ja jetzt, jetzt erwiderte sie seine Gefühle. Sie hatte sich in ihn verknallt.
«Die werden zu Hause alle auf uns warten. Lass uns gehen, Paul.»
Wolf hatte eine Küchenschürze mit Rüschen umgebunden, hielt eine Fleischgabel in der Hand, stand auf der Terrasse neben dem rauchenden Holzkohlengrill und legte gerade Steaks wohl geordnet auf den Rost. Sybille saß mit Luis und Laura am Gartentisch, sie spielten Mau-Mau. Pavel und Anuschka lümmelten sich hinten im Gras. Anne und Paul kamen aus dem Haus.
«Ah!», rief Wolf und hielt die Gabel hoch, «unsere Spaziergänger!»
Sybille sah nicht auf. «Dass ihr noch mal wiederkommt.»
«Es ist so herrlich hier draußen bei euch!» Anne ließ sich auf den Stuhl neben Luis fallen und strubbelte ihm durch das Haar. «Wer gewinnt?»
«Der Bessere!», erklärte Laura fröhlich. «Ich!» Sie legte eine Kreuz sieben ab. «Zwei nehmen, Mima!»
«Ich habe keine Lust mehr!» Sybille legte ihre Karten hin. «Ich gehe in die Küche und mache den Salat.»
«Och, Mima ...», maulte Laura.
Sybille stand auf und pfiff auf zwei Fingern.
«Essen fassen!», rief Sybille zu Anuschka und Pavel hinunter. «Antraben! Hände waschen! Tisch decken!»
Paul ging zu Wolf und klopfte ihm auf den Rücken.
«Brauchst du Hilfe, alter Mann?»
«Deine auf jeden Fall nicht!»
«Umso besser, dann gehe ich duschen.»
Er folgte seiner Frau ins Haus.
«Bring noch einen Wein mit!», rief Wolf ihm nach und wendete das Fleisch, das auf dem Grill zischte und rauchte.
Luis wollte zu seiner Mutter auf den Schoß.
«Tu mir einen Gefallen, Liebling. Bedränge mich nicht so. Ich bin ganz nass geschwitzt. Sei ein großer Junge. Du bist zehn.
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