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Die Albertis: Roman (German Edition)

Die Albertis: Roman (German Edition)

Titel: Die Albertis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
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Warum spielt ihr nicht allein weiter?»
    «Sybille hat gesagt, du drückst dich immer vor der Arbeit!», quakte er.
    «Hat sie das?»
    «Luis!», ermahnte ihn sein Vater. «So hat sie das gar nicht gemeint.»
    «Und Papa hat ihr erzählt, dass du alle Teller heute Morgen ...»
    Drohend hob Wolf die Gabel. «Luis!» Er brachte den Satz nicht zu Ende.
    «Na, wo sie Recht hat, hat sie Recht, mein Schatz. Deine Mutter möchte nämlich auch mal freihaben. Freihaben vom Alltag. Wir sind ja schließlich als Gäste hier. Und außerdem macht sich ja dein Vater nützlich.»
    Luis betrachtete seine Mutter: «Du hast hinten Dreck im Haar!»
    Wolf sah zu seiner Frau hinüber. Erschrocken fasste sich Anne an den Hinterkopf. Erdkrümel und Grashalme blieben an ihrer Hand kleben. «Ach das ...» Sie wuschelte sich durch die Haare. Dann erzählte sie die Geschichte von dem Reh. Luis war begeistert. Wolf sagte nichts. Seelenruhig grillte er. Schweigend hatte Laura zugehört.
    Als Anne fertig war, stand Laura auf. «Komm, Luis. Wir spielen Gameboy!» Die Kinder verschwanden.
    «Sybille ist und bleibt eine Giftspritze!», konstatierte Anne. Wolf kam zu ihr und setzte sich neben sie. «Mach dir doch nichts draus.»
    «Tu ich ja auch nicht.»
    «Und?»
    «Und was?»
    «Worüber habt ihr geredet?»
    «Über dich, Wolf.»
    «Über mich?»
    «Klar. Das willst du doch hören, oder? Alle reden immer über dich. Und natürlich nur das Schlechteste. Ich habe mich ausgiebig bei ihm ausgeheult.»
    «Ich weiß überhaupt nicht, warum du so aggressiv bist seit neuestem. Ich verstehe es nicht. Du hast doch überhaupt keinen Grund. Ich gebe dir keinerlei Anlass ...»
    «Ist ja gut.» Sie versuchte zu lächeln. «Die Steaks verbrennen!»
    Wolf sprang auf und ging zum Grill zurück.
    Auch Anne erhob sich und ging ins Haus. Sie schlenderte durch das Wohnzimmer, durch das Esszimmer, durch die Bibliothek. Sie sah sich um. Auf einmal hatte sie das Gefühl, alles mit anderen Augen zu sehen. Die Kunst an den Wänden. Die Möbel. Das Silber. Die Orchideen in den chinesischen Töpfen. Die alten Bücher in den Regalen. Der Geruch. Die Geräusche. Das ganze Haus war plötzlich er. Paul. Aus jeder Farbe, aus jeder Faser, aus dem Licht, selbst aus dem Schatten schien er zu ihr zu sprechen.
    «Nimmst du mal?» Sybille war neben ihr aufgetaucht, mit einer riesigen Schüssel voller Salat.
    Anne erschrak. «Aber sicher.» Sie nahm Pauls Frau die Schüssel ab. «Soll ich etwas, ich meine ...»
    «Bring die Kinder auf Trab. Im Gegensatz zu dir bin ich nämlich der Meinung, die verwöhnten Herrschaften brechen sich keinen Zacken aus der Krone, wenn sie sich am Tischdecken und so beteiligen.»
    Weg war sie. Der Ton dieser Frau. Sie hatte sie noch nie wirklich leiden können, das war Anne jetzt vollkommen klar. Diese arrogante Zicke. Überheblich, kalt, egoistisch. So eine Frau konnte einen Mann wie Paul nur unglücklich machen. Seltsam, bisher hatte sie nie den Eindruck gehabt, dass in dieser Ehe etwas nicht stimmte. Paul hatte nie gezeigt, dass es zwischen den beiden Schwierigkeiten geben könnte. Kein Wort davon, nicht ihr gegenüber und auch Wolf schien keine Ahnung zu haben. Das Ehepaar Ross hatte immer so eine Art Vorbildfunktion gehabt. Funktion: wie funktionieren. Alles bei ihnen funktionierte. Funktionierte wie am Schnürchen. Jeder hatte seinen Platz. Wie glücklich wäre die Welt, wenn jeder am richtigen Platz säße: Diesen Kalenderspruch, den ihre Mutter daheim in Bremen einst auf ein Kissen gestickt hatte, zusammen mit blühenden Rosen, hatte sie verinnerlicht wie eine Weisheit. Er kam ihr immer wieder in den Sinn, wenn sie an Sybille und Paul dachte. Sie hatte sie noch nie streiten gehört. Ja gut, kleine Missverständnisse und spitze Bemerkungen und ironische Äußerungen, die gab es in Hülle und Fülle, aber das war ja auch Sybilles Spezialität, vor der niemand sicher war. Aber Krisen und Auseinandersetzungen und grundsätzliches Hinterfragen der Ehe, so, wie es bei ihr und Wolf gang und gäbe war, das hatte sie nie bemerkt, ja, das schien Anne fast ausgeschlossen gewesen zu sein. Bisher. Vielleicht, so dachte sie, während sie den Salat auf den Tisch stellte, waren die beiden auch nur besonders geübt im Verdrängen und Verbergen, Meister der Diplomatie, Könige des Arrangements, die eine glückliche Ehe eben nur spielten. Konnte das wirklich sein? War es möglich, sich so zu verstellen, dass selbst gute Freunde wie sie und Wolf nichts merkten? Oder lag

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