Die Albertis: Roman (German Edition)
Spaß und eine gute Nacht.
«So beginnen die großen Dramen der Menschheit!», sagte Paul und setzte sich fröhlich zu ihr.
«Deinen Humor möchte ich haben!» Sie klappte den Kragen seines Sakkos herunter, was ihn irritierte, weil ihm nicht bewusst gewesen war, dass er noch immer hochgeklappt gewesen war. Paul war der Mann, der immer anständig gekleidet sein wollte. Kleine Schwachpunkte kratzten an seinem Ego, die größeren überging er. Er hielt eine Menge von sich, und für Selbstzweifel gab es keinen Platz in seinem Leben.
«Jetzt biete mir wenigstens was zu trinken an!», befahl Anne und zog ihre Schuhe aus.
Paul, der wusste, dass er gewonnen hatte, stand auf, ging an die Minibar, öffnete sie und sah hinein. «Champagner?»
«Ich brauche was Hartes!»
Er drehte sich um: «Sollst du kriegen!»
Anne entdeckte die Femme fatale in sich. Das gefiel ihr: «Whisky zum Beispiel.»
«Ich wusste gar nicht, dass du Whisky trinkst.»
Sie machte ihn nach: «Ich glaube, du weißt vieles nicht von mir!»
«Deswegen sind wir ja hier.» Er drehte mit einem Knacks das Fläschchen auf und goss den Inhalt in ein Glas. Er entschied sich für einen Gin-Tonic. Dann kam er zurück, sie stießen an, wortlos, und tranken in großen, hastigen Schlucken. Sie küssten sich. Er drückte Anne in die weichen Kissen des Sofas, er bedrängte sie, sie rutschten zu Boden, wälzten sich hin und her, entkleideten sich und liebten sich auf dem Teppich.
Danach ging Anne ins Badezimmer. Nackt betrachtete sie sich im Spiegel. Ihr dunkles Haar war verwühlt, das Gesicht errötet, die Augen leuchteten, ihre Haut glich in ihrer Blässe dem Marmor an den Wänden. «Ich hasse dich!», sagte sie leise zu sich, drehte den Wasserhahn auf und ließ das kalte Wasser über ihre Handgelenke laufen.
Paul kam herein. Gemeinsam gingen sie unter die Dusche. Dort liebten sie sich ein zweites Mal. Wie ausgehungert waren sie, konnten nicht voneinander lassen, wie unter Zwang, wie im Rausch begehrte sie ihn und er sie, sie waren zusammen, und doch voller Sehnsucht nacheinander, eine Quelle schien einer im anderen entdeckt zu haben, eine Quelle, die zu sprudeln begonnen hatte mit einer Kraft und Leidenschaft, die sie mitriss weit, weit fort, für immer und ewig.
Als Anne am nächsten Morgen in Pauls Arm aufwachte, war sie glücklich. Sie dachte an Ebba, die jetzt wohl schon unterwegs war, nach Istanbul, sie dachte an ihr gemeinsames Gespräch, aber der Schatten, der noch am Abend darauf gelegen hatte, war auf einmal fortgeflogen.
«Ich liebe dich!», flüsterte sie. Doch Paul konnte sie nicht hören, denn er schlief noch tief und fest und selig.
KAPITEL 5
Capri
In der letzten Zeit war Wolf wieder in seine eigensinnige Phase eingetaucht. Anne nannte es so. Die eigensinnige Phase. Wolf war mit den Endarbeiten seines neuen Buches beschäftigt. Mit ihm war nichts mehr anzufangen. Er zog sich vollständig zurück, schlief manchmal sogar in seinem Arbeitszimmer. Wolf behauptete, er würde bis in die Morgenstunden zeichnen und wolle Anne nicht stören. In Wahrheit wollte er von ihr nicht gestört werden. Er aß fast nie mehr mit der Familie. Oft, wenn Anne gekocht, die Familie eben das Mittag- oder Abendessen beendet hatte und die Küche wieder aufgeräumt war und blitzte, trabte er an, gedankenversunken, und bereitete sich sein eigenes Mahl, das er im Stehen einnahm. Wenigstens brachte er das Chaos, das dabei entstand, selbst wieder in Ordnung – dieser Teil seines Systems immerhin funktionierte perfekt. Anne hatte Mühe, die Kinder von ihm fern zu halten. Und umgekehrt. Denn Wolf war in seiner eigensinnigen Phase leider meistens verwirrt und fast immer schlecht gelaunt.
In diesen Wochen war er der Papst des Pöbelns, der Tenno des Türknallens, der Meister der Missverständnisse, der Begründer des Vereins für schlechte Laune, und es hätte nur noch gefehlt, dass er damit begonnen hätte, Anne zu siezen und seine Söhne zu verwechseln.
Anne kannte diese Symptome zur Genüge. Wenn er durch war mit seiner Arbeit, verwandelte er sich wieder zurück von Mr. Hyde in Dr. Jekyll, gab den treu sorgenden Vater, den schluffigen Ehemann und beteiligte sich, im Rahmen seiner Möglichkeiten, die Anne ohnehin als sehr begrenzt empfand, am Familienalltag. Wenn das Buch erfolgreich war, und die meisten seiner Kinderbücher waren es, hatte Wolf sogar Anflüge von Euphorie. Er überhäufte alle mit Geschenken, er überraschte mit Einfällen wie Ausflügen, zu denen keiner
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