Die Albertis: Roman (German Edition)
Wind gebeugt, sprudelte inmitten des Sees. Die Stadt wirkte wie ausgestorben. Kein Auto fuhr, niemand ging spazieren, selbst der Portier des Vier Jahreszeiten hatte längst Feierabend. Paul fasste Anne am Ellenbogen und geleitete sie die Stufen, die mit einem roten Läufer belegt waren und zur Halle hoch führten, in das Hotel. Auf der anderen Seite spuckte die gläserne Drehtür die beiden wieder aus. Anne war überrascht und geblendet von der Prächtigkeit, die in Jahrhunderten gewachsen war und so selbstverständlich daherkam, als bestünde die Welt nur aus Reichtum und Glück. Alte Gemälde, antike Sessel, Silbergefäße, aus denen Sommerblumen wucherten, Kronleuchter und Kandelaber, die alles in einen verführerischen Schimmer tauchten, Teppiche, die jeden Lärm verschluckten und jeden Schritt leichter werden ließen. Paul steuerte direkt an die Rezeption, wo ein Empfangschef, der kaum älter als Edward zu sein schien, damit beschäftigt war, Briefpapier zu sortieren.
«Guten Abend, Herr Dr. Ross, gnä' Frau», sagte er mit einem strahlenden Lächeln. «Vortrag beendet?»
«Ja!», antwortete Paul.
Der Empfangschef drehte sich nach hinten um und zog einen schweren Zimmerschlüssel aus dem hölzernen Schlüsselbord.
Anne war unbehaglich zumute. Was ging hier vor?
«Frau ... äh ... Alberti begleitet mich», erklärte Paul, wie ein Mann, der stets die Flucht nach vorne ergreift und dem solche Situationen alltäglich sind.
«Selbstverständlich, gerne. Wann möchten Sie geweckt werden?»
«Gar nicht!», erwiderte Paul. «Gute Nacht.»
«Gute Nacht!», sagte der Empfangschef, sah ihnen nach, wie sie im Lift verschwanden, und setzte seine Arbeit fort.
Im dritten Stock stiegen Paul und Anne aus. Er ging mit schnellen Schritten voran, sie folgte ihm.
«Du spinnst, Paul, was denkst du ...», zischte sie und versuchte, ihn einzuholen, «glaubst du, ich verbringe eine Nacht hier mit dir? Was soll Wolf denken, der wundert sich sowieso schon!» Sie guckte auf die Uhr.
Vor einer Tür am Ende des breiten Flurs blieb Paul stehen, steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn herum, öffnete mit Schwung die Tür, machte Licht und trat ein. Anne warf einen Blick zurück, so, als fürchte sie, beobachtet zu werden, dann folgte sie ihm, leise schloss sie die Tür. Sie sah sich um: eine kleine Suite, antik eingerichtet mit großen Fenstern und einer Balkontür, die den Blick freigab auf die Alster und die Stadtsilhouette. Neben dem Bett stand Pauls Arztkoffer, ein dunkelblauer, italienischer Anzug hing frisch gebügelt am Kleiderschrank.
«Machst du so was öfter?», fragte sie.
«Dass ich hier wohne? Hmm ... vielleicht zweimal im Jahr, wenn irgendwelche Dienstessen oder Veranstaltungen sind, die länger dauern, und wenn ich keine Lust mehr habe, zurückzufahren.»
«Das wusste ich nicht.»
«Ich glaube, du weißt vieles nicht von mir!» Er umarmte und küsste sie. «Herzlich willkommen.»
«Ich habe das Gefühl, ich bin in einer Absteige!»
«Dies ist keine Absteige, dies ist eines der besten Hotels der Welt, in dem ich Stammgast bin, und du ...»
Sie unterbrach ihn: «Wie der mich unten angesehen hat. Was der wohl denkt.»
«Der denkt gar nichts. Und jetzt entspann dich.»
Anne war den Tränen nahe. Sie war völlig durcheinander.
Paul hingegen hatte allerbeste Laune: «Worüber reden wir jetzt?», fragte er. «Über Kant? Aids? Die deutsche Steuergesetzgebung? Kinderkriegen? Heiraten ...?»
«Ich gehe sofort wieder. Nur damit das mal klar ist!», sagte Anne und machte es sich auf dem mit cremefarbener Seide bezogenen Sofa gemütlich. «Wenn mich jetzt Ebba so sehen könnte.»
«Ach die ...» Paul winkte ab. Er kannte sie kaum, aber er hatte das Gefühl, sie nicht ausstehen zu können. Männer mögen die beste Freundin einer Frau nie.
«Ich komme gerade von ihr.»
«Weiß sie?» Mit dem Zeigefinger deutete er zu ihr und zu sich.
Anne nickte.
«Na, ob das eine gute Idee ist?» Er zog sein Handy aus der Hosentasche. «Ich habe Sybille angerufen und ihr gesagt, dass ich über Nacht in Hamburg bleibe. Am besten du rufst jetzt Wolf an und erklärst ihm ...», er dachte kurz nach. «Pennst du manchmal bei deiner Ebba?»
«Nie.»
«Na, dann ist es jetzt das erste Mal.» Er gab ihr das Handy.
Anne war überrumpelt. Und sie wusste: Es gab kein Zurück mehr. Er wollte es so. Und sie wollte es auch so. Kurz rief sie ihren Mann an, der schon geschlafen hatte, und belog ihn. Überzeugend. Er wünschte ihr viel
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