Die Alchemie der Naehe
aufführen? Sie ist schlieÃlich unsere Mutter! Was du da in Szene setzt, ist ein regelrechter Rachefeldzug!«
»Ich glaube nicht, dass ich dir je verheimlicht habe, ein Riesenarschloch zu sein, mein guter Johnny Johnny. Oder sollte ich dich vielleicht lieber Moralapostel nennen?«, gab sie zurück und verschwand erneut in der Umkleidekabine.
Du wusstest nicht, was du darauf antworten solltest. Was sollte man zu so einem Sturkopf auch sagen? Sie suhlte sich dermaÃen in vergangenem Leid, dass der jetzige Kummer deiner Mutter überhaupt keine Rolle mehr spielte.
»Das Hemd kostet zweiundsiebzig Euro, Herr Moralapostel. Kaufst du es mir?« Hochzufrieden verlieà sie die Umkleidekabine, und ihr Gesicht strahlte solche Freude aus, dass du Gänsehaut bekamst.
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Anfang Dezember konnte man auf den ersten Blick durchaus glauben, dass ihr wieder eine heile Familie wart. Selvaggia und eure Mutter sprachen wieder miteinander, auch wenn ihr Verhältnis reichlich steif blieb. Fragte eure Mutter sie ausnahmsweise mal was und kam näher, um sie zu liebkosen, ihr über die Haare oder das Gesicht zu streichen, erstarrte sie förmlich. Aber das Schlimmste schien gegessen zu sein.
Der Tag, an dem Selvaggia erstmals keine Krücken mehr brauchte, war ein echter Freudentag. In der Notaufnahme kam der Verband endgültig ab, der ihren Köchel so lange umfangen hatte. Dann wurde der Genesungsprozess der Bänder kontrolliert. Als sie sich von der Liege erhob und ohne jede Stütze dastand, dachtest du erst, sie würde es nicht schaffen. Doch nachdem sie sich die letzten Ermahnungen des Arztes angehört hatte, strahlte sie übers ganze Gesicht und machte ein paar schwankende Schritte auf dich zu. Und als sie bei dir war und dich überglücklich umarmte, schien sie bereits eine gewisse Ãbung zu haben.
Beim Verlassen der Notaufnahme wart ihr regelrecht euphorisch. Langsam lieft ihr in stillem Einvernehmen zum Giusti-Park. Selvaggia fühlte sich wie neu geboren. Sie blieb stehen, sog begierig die frische Luft ein, während du lachend auf sie zugingst und sie in die Arme nahmst. Du hobst sie ohne Vorwarnung hoch, jagtest ihr einen kleinen Schrecken ein. Das war ganz einfach für dich, weil du stark warst und sie im Vergleich zu dir so leicht und zart ⦠Du drehtest dich einmal um die eigene Achse und stimmtest in ihr Lachen ein. Als Nächstes lieà sie sich von dir auf der Schaukel anschubsen. Beim Reden überschlugen sich eure Worte, und ihr musstet grundlos lachen â und sei es nur, weil ihr ein Rotkehlchen zwischen den Zweigen entdeckt hattet.
»WeiÃt du, was ich gerade gedacht habe?«, sagte sie schlieÃlich und verlieà die Schaukel mit einem ziemlich gewagten Sprung.
»Was denn?«
»Dass du einer der wenigen bist, der seinen Schwiegervater wirklich âºPapaâ¹ nennen kann.«
Diese seltsamen Worte verwirrten dich. Gleich darauf trat sie zu dir, und du sahst zu, wie sie sich in deine Arme schmiegte und diese dort hinlegte, wo sie sie haben wollte. Schweigend kehrtet ihr zum Wagen zurück, und den Blicken, die du ihr zuwarfst, war deutlich anzumerken, wie sehr du sie begehrtest. Denn als du sie so glücklich und zufrieden erlebtest, ihre be schwingten Schritte sahst und ihre aufrichtige Zuneigung spür test, wurden bei dir sämtliche Sinne geweckt. Im Auto konn test du an nichts anderes denken als an ihre wunderbaren Augen, ihren Duft und ihre Hingabe, die dich zum Tier machten. Schon bald würdet ihr irgendwo übereinander herfallen. Als sich eure Hände zufällig berührten, weil ihr gleichzeitig versuchtet, einen anderen Radiosender einzustellen, zuckte sie zurück wie nach einem elektrischen Schlag. Selvaggia zwang sich, dich nicht anzusehen, und lief auf einmal rot an.
»Meinst du, die warten â¦Â«, begann sie angespannt und räusperte sich mitten im Satz. Sie war dermaÃen grundlos nervös, dass du ein Lachen kaum unterdrücken konntest. »Meinst du, die warten schon zu Hause auf uns?« Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, als wäre es ihr völlig egal, ob eure Eltern bereits auf euch warteten oder nicht. Aber ihre Stimme klang jetzt anders, und sie konnte ihre Verlegenheit nicht länger verbergen, ihr sehnsüchtiges Begehren. Ihre Frage klang wie eine unzweideutige Aufforderung. Deshalb stelltest du blindfischmäÃig folgende Gleichung auf: 0 Eltern, die auf
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