Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaia Coltorti
Vom Netzwerk:
sein.«
    Â»Dass sie leidet, sehe ich. Aber mit ihrer Mutter spricht sie nicht darüber. Dir dagegen scheint sie sich anvertraut zu ha ben. Hat sie nur mit dir darüber geredet? Oder bin ich die Einzige, die von nichts weiß?«
    Du sahst sie kurz forschend an, konntest jedoch nicht einschätzen, ob sie wütend, enttäuscht oder traurig war. Auf jeden Fall bedrückt. Nach einer Weile sagtest du vage: »Bald ist sie bestimmt wieder ganz die Alte, du wirst schon sehen. Da bin ich mir sicher.«
    Â»Ach ja? Und wie kommst du da drauf?«
    Â»Ich weiß es einfach.«
    Â»Hat sie mit dir darüber geredet?«
    Â»Natürlich haben wir geredet.«
    Â»Gut«, meinte deine Mutter. »Und warum hat sie nur mit dir darüber gesprochen? Bin ich denn völlig unwichtig?«
    Â»Natürlich bist du wichtig, sehr sogar«, sagtest du. »Aber ich bin ihr Bruder, und mir vertraut sie.«
    Â»Und was weiß sie umgekehrt von dir?«
    Â»Vieles«, sagtest du lachend. »Selvaggia ist meine Schwester, und ich vertraue ihr.«
    Die Schule war bereits in Sichtweite, als deine Mutter sagte: »Trotzdem, ihr hockt viel zu dicht aufeinander. Du solltest ein bisschen auf Abstand gehen, Giovanni. Alles ist noch so neu und ungewohnt für Selvaggia. Sie ist viel zu sehr auf dich fixiert und umgekehrt. Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass euch das guttut.«
    Damit war die Anspannung, die dir solche Magenschmerzen gemacht hatte, sofort verflogen. Insgeheim grinstest du in dich hinein und dachtest: Woher will sie eigentlich wissen, was uns guttut, wo sie uns doch kein bisschen kennt!
    Â»Ja, ja, du hast ja recht«, würgtest du sie ab, während der Mini vor dem Schultor hielt. Für heute war die Sache ausgestanden, jetzt durftest du die Fliege machen.
    Â»Warte, steig noch nicht aus«, hielt sie dich zurück.
    Â»Ich komme zu spät, Mama! Und die Schule ist äußerst wichtig für meine Zukunft. Das hast du selbst gesagt!«
    Â»Hilf mir ein bisschen mit ihr, Giovanni.«
    Â»Du brauchst meine Hilfe nicht. Du bist unsere Mutter. Wir können bloß nichts dafür, dass wir so lange getrennt waren«, sagtest du gelassen. »Wenn wir jetzt wieder getrennt werden sollten, wäre das fast schon ein vorsätzliches Verbrechen.«
    Â»Aber dein Vater findet auch, dass ihr nicht so viel Zeit zusammen verbringen solltet.«
    Â»Solltet? ›Dürft‹ meinst du wohl«, sagtest du ironisch, ohne ihr Gelegenheit zu geben, etwas darauf zu erwidern. Du stiegst aus, drehtest dich um und warfst ihr einen aufmüpfigen Blick zu.
    Â»Wenn ihr versucht, sie mir noch einmal wegzunehmen, wird das böse Folgen haben«, hättest du ihr am liebsten gedroht. Stattdessen knalltest du die Autotür zu, gingst in deinen wahnsinnig langweiligen Unterricht und warst sehr stolz auf deinen ungebremsten Selbstbehauptungswillen.
    Die Schulstunden zogen sich hin wie Kaugummi und versetzten dich in einen Dämmerzustand. Du dachtest an Selvaggia, an euch beide und dann an eure Mutter und die Zukunft, die euch erwartete. Die Auseinandersetzung von soeben hatte dir einiges klargemacht. Erstens: Antonella hatte Angst vor dir. Und zweitens: Sie wusste, dass sie euch nicht auseinanderbringen konnte, was sie bestimmt beunruhigte, weil sie ahnte, dass euer Verhältnis enger war als normalerweise bei Geschwistern üblich. Sie hatte Angst vor dir, weil ihr bewusst war, dass du sie überflüssig machtest. Nahmst du ihr die Tochter weg, hätte sie als Mutter endgültig versagt, und das würde sie niemals zulassen. Dem stand etwas so Undefinierbares wie Stolz im Weg. Und in eurer Familie hatte man sich seit jeher verdammt schwer damit getan, ihn zu überwinden.
    Doch was ihr einvernehmlich beschlossen hattet – nämlich möglichst nicht aufzufallen und keinerlei Verdacht zu erregen –, schien für Selvaggia keine Gültigkeit mehr zu besitzen. Denn noch am selben Abend begann sie, dich vor euren Eltern mit Zärtlichkeiten förmlich zu überschütten. Mit Liebko sungen und einem verliebten Lächeln, während eure Mutter höchstens einen Meter weit weg stand und das Abendessen zubereitete. Und am nächsten Morgen fandst du sie erneut in deinem Bett vor. Diesmal tat deine Mutter so, als würde sie Selvaggia gar nicht sehen, weil sie dachte, deine Schwester wolle sie bloß provozieren. Trotzdem hatte Mommy Antonella nicht

Weitere Kostenlose Bücher