Die Alchemie der Naehe
war also ihre Reaktion auf die Entschuldigung eurer Mutter. Sie ging einfach, ohne sie anzunehmen. So als sei Antonella ihr völlig egal. Deine Mutter und du bliebt noch einen Moment auf dem Sofa sitzen und saht euch bloà wortlos an.
»Was meinst du?«, fragte sie schlieÃlich. »Wird sie mir verzeihen?« Du sahst ihr an, wie traurig und ratlos sie war, als sie sich in die Sofalehne sinken lieÃ.
Beim Einkaufen gabst du die Frage an Selvaggia weiter, um deine Zweifel zu verscheuchen. »Vielleicht werde ich ihr eines Tages verzeihen â¦Â«, sagte sie süffisant und hielt sich ein Fred-Perry-Polohemd an. Ehrlich gesagt fandst du es nicht sehr angebracht, dieses Gespräch in einem Laden mit Armani-Jeans und Fred-Perry-Klamotten fortzusetzen. »Vielleicht aber auch nicht. Ich habe mich noch nicht entschieden.« Zufrieden drehte sich vor dem Spiegel einmal um die eigene Achse, um das Shirt aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Du verstandst nicht, ob sie damit den etwaigen Polohemd-Kauf oder eure Mutter meinte, doch dann schaffte sie Klarheit, indem sie sagte: »Nein, ich werde ihr nicht verzeihen. Noch hat sie nicht genug gelitten.«
»Wie kannst du nur so grausam sein!«
»Und wie steht es mir?«, fragte sie.
»Hör mir gefälligst zu, wenn ich mit dir rede!« Du begriffst einfach nicht, wie sie bei einem so ernsten Thema immer wieder von diesem dämlichen Ringelshirt anfangen konnte, so schwer ihr die Entscheidung zwischen dem einen und dem anderen Streifenmuster auch fallen mochte! Doch anstelle einer Antwort stöhnte sie nur genervt auf und warf dir im Spiegel einen vernichtenden Blick zu.
»Und was soll ich deiner Meinung nach bitte schön sagen?«, erwiderte sie extrem gereizt â ein Gefühl, das dich sofort ansteckte, von der kalten, glatten spiegelnden Fläche auf dich übersprang. »Soll ich vielleicht sagen, dass ich vor lauter Gewissensbissen nachts nicht mehr schlafen kann? Dass mich der Anblick unserer niedergeschlagenen Mutter unendlich traurig macht und ich ihr, kaum dass wir wieder zu Hause sind, in die Arme fallen und mit ihr um die Wette heulen werde â vor lauter Erleichterung, dass wir uns wieder vertragen haben? Wenn du das hören willst, kannst du mich am Arsch lecken!«
Ihre Worte und Blicke lieÃen dich sofort verstummen, zwangen dich zum Wegschauen. Offensichtlich interessiertest du dich eingehend für den FuÃboden. Dann hörtest du ein Seufzen, das mehr sagte als alles andere. »Was meinst du? Soll ich es kaufen?«, fragte sie.
»Es steht dir gut. Aber wenn du unentschlossen bist, schenk ich es dir.«
»Einverstanden«, erwiderte sie. »Es tut mir leid, sie so behandeln zu müssen, auch wenn man mir das vielleicht nicht anmerkt. Es macht mir keinen Spaà mitanzusehen, wie von ihrer Ãberzeugung, eine gute Mutter gewesen zu sein, nichts mehr übrig bleibt. Meine Güte, ich möchte mich hier wirklich nicht als Opfer aufspielen, aber ich hatte nun mal eine schreckliche Kindheit und eine ebenso schreckliche Jugend, weil ich bei ihr immer nur auf Desinteresse gestoÃen bin. Bei allem Respekt â das Gefühl, im Stich gelassen zu werden, war ungut. Mehr als die eine oder andere Binsenweisheit, wie man ganz gut alleine klarkommt, konnte ich mir mit Hilfe meiner Freundinnen auch nicht zurechtlegen. Dass sie eine beschissene Einzelgängerin ist statt der Mutter, die ich wirklich gebraucht hätte, hätte sie sich ruhig früher überlegen können. Das hier ist einfach bloà die logische Folge ihres unverzeihlichen Verhaltens von damals. Ich bilde mir nur ein Urteil darüber.«
Diese Aussage war ein weiterer Beweis für ihre Sturheit, und du konntest dir ein Lachen kaum verkneifen. »Wer gibt dir eigentlich das Recht, dich zum Richter aufzuspielen?«, fragtest du. »Wie kommst du überhaupt dazu, den ersten Stein zu werfen?«
»Meine Vergangenheit , edler Johnny Johnny. Ich bin das Opfer , siehst du das denn nicht? Da kann es gar keinen besseren Richter geben.«
»Auch eine Jury aus tödlich Beleidigten sollte mildernde Umstände gelten lassen.«
»Was du mildernde Umstände nennst, ist für sie bloà eine Ausrede, um sich vor ihren Pflichten zu drücken, und das weiÃt du ganz genau. Darüber hätte sie sich eben vorher Gedanken machen müssen.«
»Wie kannst du dich bloà so arschig
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