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Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaia Coltorti
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euch warten = Zeit für euch. Und Zeit für euch = die Wohnung eurer Mutter + intensive Nachhilfe in eurem Lieblingsfach Sozialwesen. Du brauchtest eine Weile, bis du etwas herausbrachtest und dich deinerseits räuspertest. Du kamst schier um vor lauter Sehnsucht.
    Â»Nein, sie warten nicht auf uns«, sagtest du in dem Versuch, euch beide zu überzeugen. »Bestimmt nicht, du wirst schon sehen.«
    Â»Bist du sicher?«, fragte sie leicht nervös.
    Â»Und ob!«
    Du parktest in der Via Anfiteatro, direkt vor der Wohnung eurer Mutter, die – zu ihrem Bedauern und eurer Begeisterung – nach wie vor unvermietet war und einen friedlichen Dornröschenschlaf schlief. Wie schön war doch die Finanzkrise, in der alle Welt verkaufte und vermietete, aber niemand kaufte und mietete!
    Später solltet ihr erfahren, dass man zu Hause längst ungeduldig mit dem Abendessen auf euch wartete, doch das störte euch im Moment nicht weiter.
    Eure größte Schwierigkeit bestand vielmehr darin, es bis in die Wohnung zu schaffen, ohne schon im Lift übereinander herzufallen. Ihr hieltet Abstand und zwangt euch, die Blicke abzuwenden, so als könntet ihr euch daran verbrennen. Denn in diesem Moment hattet ihr wirklich das Gefühl, lichterloh in Flammen zu stehen. Du hattest sie jetzt schon über eine Woche nicht mehr geliebt, und die Atmosphäre wurde immer knisternder, je höher der Lift fuhr. Du glaubtest, ihre sich beschleunigende Atmung wahrzunehmen, als würde sie schier überwältigt vor Sehnsucht. Du glaubtest, das Leben in ihr pulsieren, ihre Seele durchschimmern zu sehen. Die Welt um euch herum hatte aufgehört zu existieren. Ihr Duft erregte dich, und kurz träumtest du davon, den Lift anzuhalten und sie zu nehmen, wie es die Lieder von Ligabue oder Vasco Rossi besangen, die alle gleich klangen. Endlich betratet ihr kichernd die Wohnung. Endlich zogt ihr euch in wilder Hast gegenseitig aus, wobei ihr gegen Möbel und Wände pralltet. Die leere Küchenkommode wackelte, als du mit dem Rücken dagegen stießt, und Selvaggia lachte beinahe Tränen. Sie riss dir Pulli und Hemd förmlich vom Leib, sodass du kurz glaubtest, die Knöpfe würden abspringen genau wie im Film. Du löstest ihren Zopf, und als ihre Hände deinen Gürtel erreichten, wurdest du von einer neuen, heißen Welle der Leidenschaft erfasst, die dich in einen der glühendsten Blindfische überhaupt verwandelte.
    Anschließend widmetet ihr euch mindestens zweieinhalb Stunden der Liebe und wälztet euch wild hin und her. Nach diesem Liebestaumel war es erstaunlich, dass ihr überhaupt noch Luft bekamt. Ihr atmetet nebeneinander, rangt hörbar nach Luft, während eure Herzen im Gleichtakt Trommelwirbel schlugen.
    Â»Ich brauch ein Zigarette«, sagtest du. Normalerweise brauchtest du nie eine Zigarette danach, aber es war dir einfach so herausgerutscht.
    Lächelnd legte sie dir sanft den Zeigefinger auf die Lippen: »Pssst, ruh dich jetzt aus!«
    Â» Wirklich , ich brauch eine Zigarette.«
    Â»Du hast sie zu Hause liegen lassen.«
    Â»Hast du nicht zufällig eine in der Tasche?«
    Â»Die einzige, die noch drin war, habe ich in deinem Zimmer vergessen«, murmelte sie. »Glaubst du, uns hat jemand gehört?« Sie war schon halb eingeschlafen, und du setztest ein Lächeln auf und küsstest ihren Scheitel. Tatsächlich hattet ihr einen ziemlichen Lärm gemacht, doch jetzt umfing euch wieder die Stille der Wohnung.
    Darin eingehüllt wurde dir bewusst, wie todmüde du warst, nachdem du sie so leidenschaftlich geliebt hattest. Glücklich und erschöpft strichst du langsam über ihr seidiges Haar.

63
    Draußen wartete der von leuchtenden Sternen übersäte Nachthimmel, und dein erstes Weihnachten mit Selvaggia stand kurz bevor.
    Du freutest dich schon auf die Feiertage – eine Vorfreude die, ohne dass du es überhaupt bemerktest, von jeder deiner zärtlichen Gesten ausging. Du stauntest, wie viel rührende Details und Nebensächlichkeiten, die im alltäglichen Durcheinander niemandem sonst aufgefallen wären, dich an Selvaggia erinnerten: ein dir zugeworfener aufreizender Kuss; ein Pulli von ihr mit aufgesetzten Taschen, den sie in deinem Zimmer vergessen hatte. Alles Dinge, die von ihrer spürbaren Gegenwart kündeten, sie in greifbare Nähe rücken ließen, sodass du dir einreden konntest:

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