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Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaia Coltorti
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und auf die deine legte, wusstest du an diesem Sommermorgen ganz genau, dass sich das schönste Mädchen überhaupt an dich schmiegte. Und das war auch der Grund, warum du etwaige Gewissensbisse und Selbstvorwürfe auf später verschobst.
    Auf bald, klar. Auf später, demnächst.
    Hauptsache, nicht jetzt.

24
    Irgendwann war es so weit, und die Schicksalsstunde des Umzugs hatte geschlagen: Der erste Tag, an dem du Selvaggia und deine Mutter um dich hattest, war extrem absurd, weil sie nach dem Mittagessen mit dem Mini gekommen waren, voll beladen mit – ja mit was eigentlich? Mit Kartons voller Kleidung, mit Staffeleien und Künstlerpaletten, mit Nippesfiguren, persönlichen Gegenständen. Und dann dieser heißluftballongroße Koffer mit Kosmetika, Haarprodukten und Duschgels, Parfumkatastrophen und Glanzsprays, Intimwaschlotion, Duschhauben, Trussardi-Bademänteln (fünf), Profi-Föns (zwei), Glätteisen, Scheren, Kämmen, elektrischen und nicht elektrischen Haarbürsten, Paradontosezahnpasta und fünfhundert Lippenstiften, mit Antifaltencremes von Givenchy, einem Shampoo in Bambi-Form, jeder Menge Sun- und After-Sun-Lotions, Feuchtigkeitsmasken, Abschminkpads, Eyelinern, Marderhaarpinseln, wimpernverlängernder Mascara, Damenbinden und so weiter, mit Haarspangen in allen möglichen Formen, Pinzetten, großen Pflastern für Horrorepilationen … und weiß Gott noch was.
    Von Büchern natürlich keine Spur.
    Kein Hemingway und kein Carver, kein Dubus und kein Salinger, weder Conrad noch Flaubert, weder Dostojewski noch Girard, auch kein Tschechow, kein Chesterton und kein Hölderlin, weder De Rougemont noch Rigoni, nichts, nada, niente .
    Nur zwei ziemlich zerfledderte Dukan-Diät-Ratgeber.
    Und jetzt, wo sie dieses Luftschiff der Eitelkeiten ins Haus schleppten, fragtest du dich, ob sie eigentlich wussten, dass dein Vater und du dazu neigtet, euch nur an Ostern zu waschen – ein kleiner Scherz muss hin und wieder erlaubt sein! Schweißgebadet wie du warst, kamst du verächtlich grinsend zu dem Schluss, dass Cremes Frauen generell nicht schaden können. Außerdem belustigte dich die Vorstellung, dass dein Badezim mer von nun an mit Erfrischungstüchern und Eaux de Cologne mit übertrieben exotischen Namen vollgestellt sein würde.
    Ansonsten war deine Mutter einfach schrecklich: Sturm und Drang brachen ihr aus allen Poren, während sie befahl: »Giovanni, hierher!«, »Giovanni, dorthin!«, Giovanni, komm mal hoch«, »Giovanni, komm mal runter«, »Nein, nicht die Vase!«, »Lass das, das trage ich!«
    Papa war nicht da, sodass du deiner Mutter vollkommen ausgeliefert warst und wie eine Flipperkugel in blindem Gehorsam hin und her, ja von Zimmer zu Zimmer flitztest. Selvaggia lachte, sie half dir bereitwillig und gab ihr Bestes, damit eure Mutter nicht nur dich zwang, für sie zu springen.
    Es würde bestimmt nicht leicht sein, deine Mutter Tag für Tag zu ertragen. Nicht nur weil sie so anstrengend war, sondern auch weil sie eine Art Sauberkeitsfimmel hatte.
    Nach diesem ersten, improvisierten, unvollständigen Umzug verschwand sie, da sie angeblich noch etwas Wichtiges in der alten Wohnung vergessen hatte.
    Kaum warst du mit Selvaggia allein, gingst du ins Wohnzimmer und wolltest dich ein wenig auf dem Sofa ausruhen. Aber angesichts des Zustands, in dem sich der Raum befand, der nur noch ein einziges, vermintes Gelände aus Schachteln und Kartons war, hast du lieber darauf verzichtet. Du riefst nach Selvaggia, aber sie reagierte nicht, also begabst du dich nach oben. Wieder riefst du nach ihr, und deine Stimme hallte in die Stille hinein. Erneut nanntest du ihren Namen, als hättest du Angst, sie zu stören. Dann gabst du auf und hörtest, dass sie leise etwas summte – zumindest hörte es sich so an. Eine liebliche und zugleich traurige Melodie. Du gingst zu ih rem neuen Zimmer, das deinem direkt gegenüberlag, und spähtest fast schon automatisch durch die halb offene Tür hinein.
    Sie ordnete gerade ihre brandneuen Klamotten, räumte sie in den Kleiderschrank und die Kommode, obwohl sie teilweise noch in Zellophan verpackt waren. Dein Vater und du hattet dieses Zimmer schon seit Jahren nicht mehr benutzt, und du freutest dich, dass es wieder bewohnt wurde. Während du dieses überirdisch schöne Geschöpf ansahst, das ganz in seinem Tun aufging, brachtest du

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