Die Alchemie der Naehe
es lange nicht übers Herz, es aus seiner Selbstvergessenheit herauszureiÃen.
Leider sorgte der wie immer ungeschickte Page, der vorläufig an deine Stelle getreten war, dafür, dass dein frevlerischer Fuà alles andere als wohlklingend gegen den Türpfosten stieÃ, sodass sie abrupt herumfuhr, allerdings ohne dich zu sehen. Sie hörte auf zu summen, und die besondere Atmosphäre, die in dem Raum geherrscht hatte, war zerstört. Weil du glaubtest, keine andere Wahl zu haben, gabst du dich zu erkennen.
»Selvaggia?«, hast du gerufen. »Ich binâs, Giovanni, darf ich reinkommen?«
Ohne ihre Antwort abzuwarten, hast du die Tür aufgestoÃen. Sie drehte sich zu dir um und nickte. Sie hatte einen schönen dunkelblauen Faltenrock an, der so etwas wie ein entzückendes kleines Rad schlug, sobald sie sich bewegte.
»Hast du Durst?«, wolltest du wissen. »Hast du Hunger?«
Nach kurzem Nachdenken schüttelte sie den Kopf. »Nein danke«, erwiderte sie formvollendet und strich sich eine störrische Strähne aus dem Gesicht.
»Gut. Bitte keine Umstände! Fühl dich ganz wie ⦠Entschuldige, das hier ist dein Zuhause«, sagtest du lächelnd.
»Komm ruhig rein!«, forderte sie dich auf. »Du musst nicht in der Tür stehen bleiben. Du darfst reinkommen, wann immer du willst. Du bist hier jederzeit willkommen.« Oh, waren das nicht genau die Worte, auf die du gehofft hattest? Unsägliches Glück erfüllte dich, weil sie dir vertraute und du dieses Vertrauen nicht enttäuschen wolltest, das für dich das Versprechen einer Einladung enthielt.
Deshalb gingst du zum Fenster und sahst zum blauen Himmel empor, zu eurer ureigensten tiefblauen Gnadenkuppel, die auch dieses freundliche, vollkommen neu eingerichtete Zimmer mit dem gerahmten Doisneau-Poster gegenüber dem Bett überwölbte. Und alles darin war fein und zart und überwiegend in Hellgrüntönen gehalten. Auch das Bett von Flou, einschlieÃlich Rahmen und Kopfende mit blauem Stoff bezogen, war niegelnagelneu, einladend bequem und richtig schön breit, während du dich weiterhin mit deinen spartani schen ein Meter vierzig begnügen musstest. Im Vergleich dazu habe ich eine uralte Rumpelkammer!, dachtest du grinsend.
»Na, was sagst du?«, fragte Selvaggia, die sich ebenfalls zufrieden umsah.
Du nicktest anerkennend und sagtest: »Willst du die Wahrheit hören?«
»Ja, bitte!«
»Ich beneide dich«, sagtest du lachend. »Deine Privilegien hätte ich auch gern! Aber abgesehen davon, dass ich neidisch auf dich bin, habt ihr eine ausgezeichnete Wahl getroffen. Sogar der alte Sessel gefällt mir« â du nahmst kurz darauf Platz, um ihn auszuprobieren â, »genauso wie der platzsparende Schrank mit den Schiebetüren. Das Zimmer sieht doppelt so hell und groà aus wie vorher, als es fast leer war.«
Sie nickte zufrieden, und du sahst ihr weiterhin dabei zu, wie sie mit anmutigen Gesten ihre Schätze verstaute: die dünnen Pullover, die knallfarbenen Fred-Perry-Polohemden, die Jeans.
Manchmal wurde sie von ihren Lieblingssachen in einen kleinen Glücksrausch versetzt, der sie lächeln lieÃ. Und aus irgendeinem unerklärlichen Grund wurde ihr Lächeln zu deinem. Denn wenn sie zufrieden war, warst du es auch, so einfach war das.
Sie ordnete ihre Kleider und trat immer wieder mit einem Rock oder einem T-Shirt vor den groÃen Spiegel links von der Tür, wo sie sich die Sachen anhielt und unterschiedlich kombinierte. AnschlieÃend drehte sie sich zu dir um und bat dich um deine Meinung.
Das Dumme war nur, dass ihr aus deiner Sicht jedes Outfit gut stand: Und weil dir wirklich alles gefiel, obwohl du dich bemühtest, dir das Gegenteil einzureden, warst du ihr keine groÃe Hilfe.
Vierzig Minuten später kam eure Mutter zurück. Sie rief euch ins Erdgeschoss, besser gesagt dich. Beharrlich. Wie du weiÃt, reagiertest du mit einem genervten Stöhnen, dem Selvaggia ein Grinsen entgegensetzte. Nach dem dritten Mal riefst du »Zu Befehl, Sir!« und liefst nach unten. Fassungslos sahst du dich um. Deine Mutter hatte zwar gesagt, sie habe etwas Wichtiges in der Via Anfiteatro vergessen â aber doch nicht gleich zweihundert Sachen auf einmal! Völlig frustriert trugst du auch diesen Kram vom Mini ins Haus. Am Ende dieses unfairen Kampfes mit einem neuen Ansturm von Kartons,
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