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Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaia Coltorti
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weiter erforschen ließ.
    Du warst überwältigt, das weißt du genau. Dein Verstand war längst zum Teufel. Nur dein Körper wusste, wie er reagieren musste: Dein ganzes Ich fand Zuflucht in deinem Mund, und du packtest ihr zartes Handgelenk, spürtest das Blut, das durch ihre Adern schoss.
    Wieder unternahm Selvaggia einen neuen Erkundungsvorstoß, suchte hinter deinen Lippen und nahm kurz darauf deine Zunge gefangen, umklammerte sie mit ihren von Speichel glän zenden Lippen im lauwarmen, berauschenden Taumel ihres Mundes.
    Sie ließ dich beinahe vergehen vor Lust, aber so befriedigend diese Bajonettpetting auch war: Du warst der Erste, der wieder zur Besinnung kam und den Rückzug antrat. Ja, du musstest sogar ihre Handgelenke packen, um sie zum Aufhören zu zwingen. Erst dann ließt du sie los, und sie willigte ein. Während ihr langsam voneinander abließt, beruhigte sich eure Atmung wieder.
    Erneut strichst du ihr über die Stirn, über das Gesicht, und zwar mit geschlossenen Augen in dem Wissen, dass du dich ihrem Herzschlag jederzeit anpassen konntest – den Geschmack ihres lachsfarbenen Mundes noch auf den Lippen.
    Ihr wart erschöpft, erhitzt, obwohl kühle Luft vom Fluss aufstieg. Beide seufztet ihr, als wolltet ihr einander versichern, dass es vorbei war und sich nicht wiederholen würde.
    Du hast dich endgültig von ihr gelöst, spürtest körperlichen Widerwillen angesichts der Notwendigkeit, sich zu trennen – eine tief sitzende Angst, so als müsstest du auf etwas verzichten, das aufgrund eines archaischen, alchimistischen Zaubers nach wie vor ein Teil von dir war. Du sahst ihr todernst in die Augen: »Es reicht. Hören wir auf damit!«, hast du fest entschlossen geflüstert. Daraufhin nickte sie, wandte wortlos den Blick ab.
    Jetzt war es an deiner Schwester, sich verwirrt und verloren zu fühlen, während ihr Seite an Seite nach Hause lieft und du sie alle paar Meter nachdenklich ansahst. Nur einmal versuchte sie deine Hand zu nehmen, zog sie aber gleich wieder eingeschüchtert zurück: Vielleicht dachte sie, du wärst wütend auf sie, dabei stimmte das gar nicht. Im Gegenteil! Stattdessen hast du dich dafür verachtet, ihre Schwäche ausgenutzt zu haben, obwohl du wusstest, wie schwer das alles einem nach wie vor heimatlosen, einsamen Geschöpf in einer fremden Stadt fallen musste.
    Ohne auf ihre Zerbrechlichkeit Rücksicht zu nehmen, ja statt dich wie ein Bruder oder guter Freund zu verhalten, hattest du den Verführer gespielt, sie unter Druck gesetzt, warst aufdringlich geworden, wenn sie zu zögern schien. Noch eine Sekunde länger und Selvaggia hätte zuerst bemerkt, wie absurd das doch war und sich dir entzogen.
    Aber du hattest die Gelegenheit ja unbedingt beim Schopf ergreifen müssen, nicht wahr?
    Du unbedachter, verkorkster Schüler aus einer verkorksten Familie hattest so oft von dem Wunder geträumt, sie berühren zu dürfen, dass du sie noch in derselben Nacht regelrecht mit deinen Küssen hättest ersticken, ja verschlingen können.
    Dabei war deine Schwester sonst immer so zynisch! Sie musste doch eigentlich gemerkt haben, dass sie von dir überrumpelt wurde?
    Aber von ihrem Zögern einmal abgesehen – wäre das Ganze nicht so oder so passiert?
    Vielleicht hatte sie einen vorsichtigen Vorstoß gewagt, und du warst vorausgestürmt, dem Abgrund entgegen?
    Immerhin wehrte sich Selvaggia nicht gegen dein Schweigen, weil sie wusste, dass auch sie einen Fehler gemacht hatte.

22
    Du hattest das abgebaute Zelt einfach an Ort und Stelle liegen lassen und gesagt, dass jeder in seinem Zimmer schlafen werde – denn inzwischen wusstest du genau, worauf es hinauslaufen würde, wenn es euch nicht wirklich gelänge, auf Abstand zu gehen.
    Sie machte sich für die Nacht fertig, und du warst noch auf und rauchtest.
    Â»Johnny?«, rief sie, während du ganz in die Stille der Küche versunken warst und die Umrisse der schlafenden Mehrfamili enhäuser jenseits des geöffneten Fensterflügels auf dich wirken ließt. »Gute Nacht«, sagte sie in der erhellten Türöffnung. Du hast dich zu ihr umgedreht. Sie versuchte nicht einmal ansatzweise, dich zu berühren, weil du sie zurückgewiesen hättest. Zumindest glaubte sie das. Du hast sie entschuldigend angelächelt und die Zigarette ausgedrückt. Aus dem Päckchen vor dir auf

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