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Die Alchemie der Naehe

Die Alchemie der Naehe

Titel: Die Alchemie der Naehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaia Coltorti
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in schwierigen Zeiten, die sicherlich noch kommen würden, aufrechterhalten – und zwar unabhängig von der Bedeutung, die das Wort »Verbindung« in Zukunft noch haben würde.
    Den weiteren Abend verbrachten eure Eltern in der Küche, und irgendwann schickten sie euch unter einem Vorwand weg und machten die Tür hinter sich zu.
    Natürlich hattest du nichts dagegen, weil du jetzt mit Sel vaggia ungestört zusammen sein konntest. Während deine Schwester an einem Kamillentee nippte, gingt ihr ins Wohnzimmer. Ihr saßt auf dem Sofa und schautet ein wenig fern, auch wenn das gläserne Auge des Apparats nichts Interessantes übertrug. Dann schlangst du die Arme um Selvaggia, die bestimmt wieder zeigen wollte, wie spontan sie doch war, und nahmst ihr das Versprechen ab, irgendwann mal ganz für dich allein zu kochen.
    Begeistert willigte sie ein und drückte dir lachend einen Kuss auf die Wange. Daraufhin umarmtet ihr euch noch inniger und küsstet euch auf den Mund, allerdings ohne euch dem Wahnsinn anheimzugeben wie bei anderen Gelegenheiten.
    Nicht ein einziges Mal spracht ihr über eure besondere Form der Anhänglichkeit: Nachdem sie sich mehrfach für ihren ersten, überstürzten Kuss entschuldigt hatte, machtet ihr auf eure Art weiter – ehrlich gesagt, ohne darin ein großes Problem zu sehen. Wart ihr nicht bloß zwei Geschwister, die sich gernhatten?
    Zu gern? Ja, das mit Sicherheit. Aber dieses »Zu-gern« störte euch nicht weiter – ganz so als wäre diese übertrieben zur Schau gestellte Zuneigung eine Art Schutzwall gegen euer sündiges Vergehen. Oder besser gesagt, Selvaggia schien es nicht weiter zu stören, und da du dich bereits an ihre scheinbare Unbekümmertheit angepasst hattest, bist du den Weg des geringsten Widerstands gegangen, hast alles dem Zufall überlassen, ohne groß darüber nachzudenken, und deine Gewissensbisse verdrängt, so gut es eben ging. Das war der Stand der Dinge, während du sie unglaublich geliebt hast, allerdings nicht wie ein Bruder. Ansonsten wusstet du nicht genau, was sie für dich empfand, aber solange du ihre Gesellschaft, ja sie selbst wegen des ungeheuren Glücks, das sie für dich war, genießen konntest, hattest du nichts dagegen. Du wärst sogar damit einver standen gewesen, wenn du gewusst hättest, dass du eines Tages gezwungen sein würdest, den Wahrheitsgehalt des schreckli chen, comichaften Chiasmus »Geppetto gab, Selvaggia nahm mirs Leben« anzuerkennen.

25
    Selvaggia war zu einer unverzichtbaren Droge geworden: Wenn du sie auch nur eine Sekunde aus den Augen verlorst – und wie du weißt, sind die Augen die käuflichsten aller Sinne –, war dir, als fehlte irgendwas. War sie dagegen bei dir, verging die Zeit wie im Flug. So gesehen, kann man sich leicht ausmalen, mein lieber Giovanni, wie schnell die ersten Tage unter dem gemeinsamen Dach verstrichen.
    Ihr habt dermaßen aneinandergeklebt, dass euer Vater euch im Einverständnis mit eurer Mutter nur noch »die siamesischen Zwillinge« nannte. Und da ihr beide noch viel durchge knallter wart als der Spitzennotar, habt ihr über den Spitznamen gelacht, ohne zu merken, dass eure Eltern euch manchmal auch deswegen so nannten, um euch – wenngleich vergeblich – auseinanderzubringen.
    Ihr lebtet gerade seit einer Woche unter einem Dach, als ihr in Selvaggias Zimmer wart und du ihr halfst, so etwas Schwachsinniges wie Wandtattoos anzubringen. Danach drückte dir Selvaggia einen Kuss auf die Wange. Du hast ihn erwidert, und genau in diesem Moment kam eure Mutter herein. Du hast es gehasst, sie im Haus zu haben, wenn du mit Selvaggia zusammen warst, denn die Kommissarin störte tatsächlich andauernd , meist aus irgendeinem nichtigen Grund.
    Du hattest schon den Verdacht, dass sie euch bewusst kontrollierte, aber ganz sicher warst du dir nicht. Jedenfalls stand die bescheuerte Tür offen, und sie steckte den Kopf ins Zimmer.
    Â»Kinder?«, rief sie.
    Gemeinsam fuhrt ihr herum.
    Â»Ja?«, sagte Selvaggia, eine unvorsichtige Hand noch auf deiner Schulter.
    Eure Mutter musterte euch so merkwürdig, und ohne dass es dir überhaupt bewusst war, drohtest du ihr instinktiv mit funkelnden Augen – eine Reaktion, die so gar nicht zu deinem sanften, sympathischen Charakter passte.
    Â»Ich muss eine Besorgung machen«, verkündete die Kommissarin

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