Die Alchemie des Bösen: Roman (German Edition)
Angst zu haben.« Svenson rang sich ein Lächeln ab. Die stumpfen Zähne des Mädchens kamen einen Moment lang vertrauensvoll zum Vorschein.
Der Doktor zog seinen Militärmantel aus, legte ihn über den Stuhl und ordnete die Medikamente. Er spürte den erwartungsvollen Blick des Mädchens auf sich, während er zu Mahmouds Tablett ging, sich darüberbeugte, schnupperte und sich dann den noch immer dampfenden schwarzen Kaffee in eine Tasse goss. Als diese leer war – sein Publikum begann gerade, die Geduld zu verlieren –, hatte er sich für eine Vorgehensweise entschieden.
»Das Old Palace ist das Opfer für Colonel Bronques Benutzung des Tunnels. Was ist also seine größte Sorge? Könnte das Institut ein Sammelpunkt für die Übergriffe auf die Stadt sein?«
Gorine winkte ab. »Das Institut ist ein Haufen schnatternder Gelehrter in schwarzen Roben.«
»Gelehrte wie der Comte d’Orkancz?«
Mahmoud schüttelte energisch den Kopf. »Der Comte d’Orkancz bekam den Zugang nur auf Drängen von Robert Vandaariff hin.«
»Aber der Comte ist tot «, sagte Gorine. »Ohne ihn ist Vandaariff lediglich ein wohlhabender Mann.«
»Glauben Sie das?«, fragte Svenson. »Glaubt Colonel Bronque das?«
Mit Hilfe eines Taschentuchs zog er die blaue Glaskarte aus dem Militärmantel. Francescas Augen weiteten sich. Svenson ignorierte sie und wandte sich mit sanfter Stimme an seine Patientin.
»Ich werde Ihnen etwas zeigen, Mrs. Kraft. Haben Sie keine Angst. Ihnen wird nichts geschehen.«
Seine Patientin leistete keinen Widerstand, als er sanft ihren Kopf drehte, aber beim ersten Blick auf die Karte zog sie kräftig die Luft ein, und ihre Pupillen weiteten sich. Svenson ließ die Karte zwischen ihre Finger gleiten, die sie fest umklammerten. Madeleine Kraft war völlig darin versunken.
Svenson sprach mit gesenkter Stimme. »Hat jemand von Ihnen schon einmal blaues Glas wie dieses hier gesehen?«
»Nie«, sagte Gorine.
»Einmal.« Mahmoud kniete sich ans Fußende der Chaiselongue. »Angelique. Mrs. Kraft hat es ihr weggenommen.«
Gorine sah misstrauisch zu. »Was sieht sie?«
»Träume. So wirkungsvoll wie Opium.«
Augenblicklich wollte Mahmoud nach der Karte greifen, aber Svenson packte seine Hand.
»Es ist gefährlich, es ist mörderisch. Doch nichts von dem, was Sie versucht haben, ist zu ihrem Verstand durchgedrungen. Das hier wird es tun.«
Mahmoud schüttelte Svensons Arm ab. »Und ihren Tod verursachen? Michel …« Mahmoud wandte sich an Gorine, aber der starrte ihre Herrin an.
»Sehen Sie nur.«
Madeleine Krafts Atmung war tiefer geworden, und ihr Gesicht hatte sich verändert – ihre Wangen hatten Farbe angenommen. Sanft nahm Svenson die Karte weg. Madeleine Kraft blickte auf. Er nahm ihre Hände und sprach leise.
»Die Braut und der Bräutigam … haben Sie sie gesehen?«
Sie blinzelte ihn an und nickte dann.
»Dann sind Ihnen solche Wörter wie ›Braut‹ jetzt ein Begriff, Mrs. Kraft?«
»Braut …« Ihre Stimme war schwach, weil sie sie lange nicht gebraucht hatte.
Svenson nickte sie aufmunternd an. »Sie haben die Gesichter gesehen … die Engel … die Federmaske und den Mund darunter, Sie haben die Zähne gesehen … die Zähne der Braut …«
»Blau.« Das Wort war ein Flüstern. Mahmoud und Gorine rückten näher, doch Svenson wehrte sie ab und richtete seinen Blick fest auf ihre Augen.
»Und die Kugel … die Kugel in der Hand des schwarzen Bräutigams?«
Madeleine Krafts Mund arbeitete, als wolle sie einen Schlüssel wieder hochholen, den sie verschluckt hatte. »Rot .«
Svenson seufzte erleichtert. Ihr Verstand konnte neue Erinnerungen speichern, die Entnahme hatte sie dieser Fähigkeit nicht beraubt – sie war kein Gemüse. Trotzdem hatte sie während ihrer Krankheit nicht gesprochen – warum hinterließ nur Indigolehm seine Spur in ihrem Verstand?
Er tätschelte Mrs. Krafts Hand. »Was hältst du davon, Francesca?«
Das Mädchen wusste keine Antwort und hatte beide Arme um ihren Oberkörper geschlungen. War sie so zartbesaitet? Aus Angst, es könne alles nur noch schlimmer machen, unterdrückte Svenson das Bedürfnis, sie zu trösten, und wandte sich zu den anderen um. »Ich nehme an, Colonel Bronque ist gegangen.«
Gorine warf einen Blick auf seine Taschenuhr. »Allerdings. Warum?«
»Weil wir Ihren Tunnel brauchen werden.«
Das Bündel mit den Chemikalien lag zu Svensons Füßen. Francesca Trapping stand gähnend und blinzelnd auf. Das Mädchen hatte sich erholt. Zwar stieg
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