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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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dreihundert angewachsen. Unter ihrem Befehl standen über dreitausend Kämpfer, begierig darauf, wie ihre Herren in den Ritterstand erhoben zu werden. Schließlich, auf dem Höhepunkt seiner Macht, wurde der Orden vom Kirchenkonzil zur offiziellen Militia des Vatikans ernannt.«
    »Klingt ziemlich lukrativ.«
    »Worauf du wetten kannst. Durch eine Vielzahl von Schenkungen und aufgrund ihrer Berechtigung, Steuern einzutreiben, kam der Orden zu beträchtlichem Reichtum. Eine Weile lang galten die Templer, wenigstens inoffiziell, als Europas Herrscher im Orient. Als aber 1291 mit der Eroberung Akkons durch die Sarazenen die Ära der Kreuzzüge zu Ende ging, waren auch die Templer gezwungen, sich von ihren Ländereien im Heiligen Land zurückzuziehen. Mittlerweile auf viele hundert angewachsen, kehrten sie – nunmehr ohne Ziel und ohne Aufgabe – nach Europa zurück und verkrochen sich mutlos in ihren Festungen und Klöstern, abgeschnitten von der Außenwelt, prassend im unermeßlichen Reichtum des Ordens.«
    Christopher hob sein Glas und prostete schweigend zur Decke, als wolle er dem unsichtbaren Geist der Templer Achtung zollen. Aura bemerkte, daß er ziemlich betrunken war. Auch ihr selbst fiel es immer schwerer, sich an die Einzelheiten des Templerdramas zu erinnern. Sie hatte vor zwei oder drei Jahren einiges darüber gelesen und ihre Erinnerung heute nachmittag noch einmal grob in der Bibliothek aufgefrischt.
    »Mit der Dekadenz nahm auch der Untergang der Templer seinen Anfang. Als sie Philipp dem Schönen, dem König Frankreichs, den Beitritt als Ehrenmitglied verwehrten, sann er auf Rache. Eilig entwickelte der König Pläne, mit deren Hilfe er Gewalt über die Besitztümer des Ordens erlangen wollte. Er und seine Getreuen beschuldigten die Templer öffentlich der Häresie und Ketzerei, des Götzendienstes und der Teufelsanbetung. 1307 gelang es Philipp, Papst Clemens zu einem Verfahren gegen den Orden zu bewegen. Nur wenige Monate später ließ er, ohne Clemens’ Wissen, zahllose Tempelritter verhaften und foltern. Weit über hundert legten Geständnisse ab, die die Anschuldigungen bestätigten. Jeder aber, der die gotteslästerlichen Taten nicht bereute, wurde zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt.«
    Mit leisem Klirren hob Christopher den gläsernen Verschluß der Karaffe und wollte nachschenken, doch nur noch wenige Tropfen perlten über den Rand ins Glas. »Leer«, murmelte er und fluchte.
    »Am 18. März 1314 beobachtete König Philipp durch die Fenster des Louvre, wie die drei letzten Ordensbrüder, der Großmeister Jacques de Molay, sein Vertrauter Geoffroy de Charney und ein unbekannter Dritter, auf einem Scheiterhaufen vor dem Schloß verbrannt wurden. Zwei Jahrhunderte nach seiner Gründung im Tempel Salomos endete der Orden der Tempelritter im Feuer. Trotzdem halten sich seither beständig die Gerüchte, daß er im geheimen weiter existiert.«
    Christopher ließ beide Arme schlaff über die Lehnen seines Sessels baumeln. Er hatte Mühe, die Augen offenzuhalten. Jedesmal wenn er bemerkte, daß er einschlief, gab er sich einen Ruck und setzte sich auf, nur um Sekunden darauf erneut in sich zusammenzusinken.
    »Glaubst du das auch?« fragte er mit schwerer Stimme. »Ich meine, daß der Orden der Templer noch existiert?«
    »Wenn das, was die Kinder sagen, die Wahrheit ist – dann ja.«
    »Gibt es Beweise?«
    »Nur zahllose Legenden. Manche behaupten, jedes Unglück, das seit der Hinrichtung des Großmeisters über Frankreichs Thron oder die Kirche gekommen ist, sei ein Racheakt der Templer gewesen. Vieles davon ist Unsinn. Aber einige Dinge – wer weiß …«
    Als sie sah, daß Christophers Augen endgültig zufielen, läutete sie nach dem Diener und bat ihn, ihrem Bruder ins Bett zu helfen.
    Nachdem die Männer verschwunden waren, entrollte sie auf dem Teppich vor dem Kamin eine große Karte, die sie aus der Familienbibliothek heraufgebracht hatte. Sie zeigte einen großen Ausschnitt Europas und Vorderasiens.
    Am Nachmittag hatte sie einige Mühe gehabt, den Ort, von dem die Kinder gesprochen hatten, zu finden. Die alten Karten besaßen keinen Index wie die modernen Atlanten, die sie im Internat gesehen hatte. Aura hatte angenommen, daß es sich bei Swanetien um ein kleines, aber eigenständiges Land handeln müsse, und sie hatte nur zwei Anhaltspunkte gehabt: zum ersten die Aussage Gians, daß die Templer auf dem Weg dorthin über ein Meer gesegelt waren, zum zweiten einen Hinweis, den sie in der

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