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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Ort.«
    »Swanetien.« Aura atmete tief durch. »Wir können auf einer Karte nachsehen, wo das liegt. Was haben sie dort getan?«
    »Da gab es noch ein Haus, wie eine Burg«, sagte Tess, und plötzlich überschlug sich ihr zartes Stimmchen. »Da waren auch Berge, aber die sahen anders aus. Ganz ohne Wald.«
    »Vom Meer aus ritten sie durch ein Gebirge, in dem kaum Menschen wohnten«, sagte Gian. »Dann erst kamen sie an die Burg. Sie sah so ähnlich aus wie die erste, nur viel größer. Sie hatte eine komische Form.«
    »Achteckig?«
    »Ja, vielleicht.«
    Aura schaute Christopher an. »Das ist die typische Bauweise der Tempelritter. Sie haben viele ihrer Gebäude so angelegt.« An die Kinder gewandt sagte sie stockend: »Es ist gut. Ihr braucht jetzt nicht mehr daran zu denken.«
    Christopher sah aus, als wollte er abermals protestieren, doch Aura erstickte seinen Widerspruch mit einem scharfen Blick.
    »Wir gehen wieder nach unten«, sagte sie entschlossen und schob Gian und Tess eilig zur Tür des Dachbodens, fort aus diesem Raum, der die unschuldigen Gedanken der Kinder mit uraltem Grauen speiste.
    Christopher sah ihnen für einen Augenblick nach, dann trat er nachdenklich unter die Glasschräge. Sein Blick schweifte über die Wogen zur Küste, weiter über die goldgelben Dünen. Im Süden sahen die Wolken aus wie schwarze Tinte, die in klares Wasser tropft.
    »Genaugenommen beginnt die Geschichte der Tempelritter mit einem Gleichnis«, sagte Aura, als sie und Christopher am Abend vor dem Kaminfeuer saßen. Diener hatten ihnen eine Karaffe mit Sherry gebracht, und so wie die Flammen des Kamins sie von außen wärmten, erhitzte sie der Alkohol von innen. Beide fanden, daß sie das nötig hatten.
    »Es heißt, im Heiligen Land lebten einst zwei Brüder, die gemeinsam ein einziges Kornfeld besaßen. Sie teilten ihre Ernte in zwei gleich große Teile und ließen sie bis zum nächsten Morgen am Feldrand liegen. Der Ältere hatte eine große Familie, die er ernähren mußte, der Jüngere aber lebte allein. Da sagte sich des Nachts der Jüngere: Mein Bruder muß für so viele Menschen sorgen – dafür steht ihm ein größerer Teil der Ernte zu. So schlich er aufs Feld und legte mehrere seiner Kornsäcke auf die Seite seines Bruders. In derselben Nacht aber sagte sich auch der Ältere: Mein Bruder verrichtet ganz allein die gleiche Arbeit wie ich mit Hilfe meiner Familie – es wäre nur gerecht, wenn er einen größeren Teil unserer Ernte erhielte. So kehrte auch er im Dunkeln zurück auf das Feld und schob einige seiner Kornsäcke zu denen seines jüngeren Bruders. Am Morgen kamen beide zur Arbeit, verluden die Ernte – und erkannten, daß beide Anteile genauso groß waren wie am Abend zuvor.« Aura hielt einen Augenblick inne, dann fügte sie hinzu: »Das Feld der beiden Brüder befand sich auf dem Berge Morija, und hier ließ König Salomo seinen Tempel errichten. Um ihn herum entstand die Stadt Jerusalem.«
    Christopher kippte seinen Sherry hinunter wie billigen Fusel. Gefängnisgewohnheit, dachte Aura bedauernd.
    »Im Jahre 1099, als die ersten Kreuzfahrer an den Küsten Palästinas landeten, war der Tempel Salomos nur noch eine zerfallene Ruine. Neunzehn Jahre später fiel das, was vom Tempel übrig war, französischen Besatzern zu. Sie bildeten einen Wachtrupp aus neun Rittern, geführt von Hugues de Payen. Diese neun nannten sich selbst ›Der Orden der Armen Ritter Christi‹. Die Welt aber gab ihnen einen anderen Namen: die Tempelritter.«
    Sie pausierte einen Moment und sah zu, wie Christopher sein Glas nachfüllte.
    »Für mich auch, bitte«, sagte sie und fuhr dann fort: »Die Templer gelobten Armut, Keuschheit und Gehorsam, vor allem aber den Schutz aller Pilger im Heiligen Land. Der Tempel Salomos blieb für lange Jahre ihr Hauptquartier, sie hausten in Zelten und in den Kammern der Ruinen, hochangesehen, aber in erbärmlichen Lebensumständen. Die ersten neun, Hugues de Payen und seine acht Gefährten, waren gottesfürchtige Männer, Helden vor dem Angesicht der Kirche; jene aber, die sich um sie scharten, rekrutierten sich aus den Reihen der Abenteurer, die der Drang nach Ruhm und Ehre nach Palästina geführt hatte, zweitgeborene Adelssöhne und Verstoßene, die kein Anrecht auf die heimatlichen Höfe hatten.«
    »Wenn die Templer so gottesfürchtige Männer waren, wie du sagst, woher rührt dann ihr schlechter Ruf?«
    »Warte ab. Ein Jahrzehnt später, um 1130, war die Zahl der Tempelritter auf

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