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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sie nichts gesagt?«
    »Nur, daß du mich bald besuchen und mit zu dir nach Hause nehmen würdest.«
    Aura mußte sich beherrschen, nicht einfach aufzuspringen und erregt im Zimmer auf und ab zu laufen. Lysander hatte es gewußt! Er hatte gewußt, daß sie zu ihm kommen würde! Sie war wie ein dummes Kind auf seine Tricks hereingefallen.
    Sie nahm all ihre Kraft zusammen, um so gelassen wie möglich zu wirken. »Wann sind deine Eltern abgereist? Lange bevor ich kam?«
    Tess’ blonde Locken raschelten auf dem Kissen, als sie den Kopf schüttelte. »Am gleichen Tag.«
    Zorn und Enttäuschung schnürten Aura fast die Luft ab. Sie hatte Lysander nur um wenige Stunden verpaßt! Sylvette war so nahe gewesen, so greifbar. Wenn sie nur einen Tag früher … aber, nein, jetzt betrog sie sich selbst. Lysander hatte jeden ihrer Schritte vorausgesehen, und sicher hätte er auch erfahren, wenn sie ihre Pläne geändert hätte. Es hatte nicht einen Augenblick gegeben, in dem er ihr nicht haushoch überlegen gewesen war. Die Frage war nur, warum er sie nicht einfach getötet hatte. Warum diese Schmierenkomödie mit Morgantus, der Lysanders Stelle einnahm? Auch fragte sie sich, was wohl geschehen wäre, wenn sie ernsthaft versucht hätte, den Alten zu töten.
    »Tess«, sagte sie mit fester Stimme, »ich möchte, daß du noch einmal versuchst, dich ganz genau zu erinnern. Hat dein Vater wirklich nie erwähnt, wohin er deine Mutter bringen würde?«
    »Nein, nie.«
    Aura warf Gian einen Blick zu, doch auch er schüttelte stumm den Kopf.
    Lysander hatte Tess loswerden wollen. Daß er sie nicht getötet, sondern Auras Obhut überlassen hatte, war fraglos Sylvette zu verdanken. Das wiederum bedeutete, daß Auras Schwester über einen gewissen Einfluß auf Lysander verfügte. Wahrscheinlich war sie es auch gewesen, die dafür gesorgt hatte, daß Aura und Christopher am Leben blieben. Die Tatsache, daß Lysander sich darauf eingelassen hatte, verriet, daß er nichts über Tess’ wahre Fähigkeiten wußte. Selbst er hatte nicht vorhersehen können, welche Wirkung die Begegnung mit Gian, einem anderen Kind der Alchimie, auf das Mädchen haben würde.
    Es gab nur eine Möglichkeit, wie sie versuchen konnten, diesen Vorteil für sich zu nutzen. Es war ein Glücksspiel, gewiß, aber es war auch ihre einzige Chance.
    Aura deckte die Kinder zu und küßte beide auf die Stirn. Dann verließ sie das Zimmer und läutete die Dienerschaft aus den Betten.
    Das Wetter war dem Abschied angemessen. Kalter Nieselregen trieb vom Meer heran, und der Himmel war düster und drückend. Nicht die Seeadler, sondern schwarze Krähen kreisten über der Insel und ließen sich krächzend auf den Giebeln des Schlosses nieder. Lysanders Späher, durchfuhr es Aura, dann lachte sie über sich selbst. Angst verleitet zu Albernheit; sie war nicht die erste, die das feststellte.
    Die Diener hatten die letzten Gepäckstücke im Boot verstaut und tauchten nun wieder aus dem Dunkel des Zypressenhains auf. Wortlos gesellten sie sich zu der kleinen Gruppe am Eingang des Schlosses.
    Gian und Tess standen nebeneinander auf der untersten Treppenstufe. Sie hielten sich nicht an den Händen, vielleicht weil sie sich schämten, obgleich Aura ihnen ansah, daß sie es gerne getan hätten. Beide waren bedrückt, und Aura konnte ihre Gefühle nur zu gut nachvollziehen. Es lag noch nicht lange zurück, daß sie Gian allein gelassen hatte. Eben erst heimgekehrt, nahm sie nun erneut von ihm Abschied.
    Tess’ Trauer hatte fraglos einen ähnlichen Grund wie die Niedergeschlagenheit Gians, und doch schien das Glück, fortan im Schloß leben zu dürfen, ihre Stimmung ein wenig zu heben.
    Es wunderte niemanden, daß Charlotte sich nicht zum Abschied ihrer Tochter und ihres Adoptivsohnes blicken ließ. Aura sah am Rande des Zypressenhains vorbei zu den Fenstern ihrer Mutter im Ostflügel. Durch das bunte Bleiglas war nicht zu erkennen, ob jemand dahinter stand.
    Aura war nicht wohl bei dem Gedanken, Charlotte so lange ohne Aufsicht zu lassen, und so bat sie den Ältesten der Diener, Jakob, noch einige Schritte mit ihr zu gehen.
    »Jawohl, Madame?« fragte er, als sie im Schatten der Zypressen haltmachten. Jakob war nach Konrads Tod in dessen Stellung aufgerückt.
    »Ich möchte«, begann sie zögernd, »daß Sie meine Mutter in ihrem Zimmer einschließen. Zu ihrem eigenen Besten, und zum Besten der beiden Kinder.«
    Jakobs linke Augenbraue zuckte hoch, als mißbillige er diese Anweisung. Dann

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