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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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mit diesem hier fertig war.
    Liebe Aura, stand da mit schwarzer Tinte geschrieben. Sylvettes Handschrift war fein geschwungen, viel schöner als ihre eigene. Mutter und ich haben das Schloss verlassen. Die meisten Diener haben wir nach Hause geschickt, nur ein paar sind zurückgeblieben, um Plünderungen zu verhindern. Ich habe sie von allen Pflichten entbunden, aber sie wollten nicht gehen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Front das Schloss erreicht. Wir haben jetzt Krieg, Aura, direkt vor unserer Haustür. Es war richtig, die Kinder mit Goldstein nach Persien zu schicken, das sehe ich jetzt ein. Dort unten sind sie wenigstens in Sicherheit, Ich hoffe sehr, dass es dir in Paris gut geht. Du musst mir versprechen, gut auf dich Acht zu geben. Was Mutter und mich angeht, so ist es uns gelungen, Plätze auf einem der letzten Schiffe nach Amerika zu ergattern. Ja, ich weiß, das kommt sehr plötzlich, und ich gehöre sicher zu den wenigen, die nicht darauf brennen, einmal im Leben die Freiheitsstatue mit eigenen Augen zu sehen. Aber die Familie besitzt Häuser in New York, das weißt du, und ich habe mir die nötigen Unterlagen herausgesucht. Ich habe vor, mit Mutter dort zu bleiben, bis sich die Lage beruhigt hat. Ich habe Angst, um uns und um dich, aber was hilft’s? Ich musste eine Entscheidung treffen, und du weißt ja, dass ich darin mittlerweile Übung habe. New York, also. Wünsch uns Glück. Du kannst uns schreiben, an das Bankhaus Smyth & Dobson, das dort drüben unsere Angelegenheiten regelt. In rund zwei Wochen werden wir dort sein, dann werde ich nachfragen, ob es Neues von dir gibt. Ich gebe dir einen Kuss, große Schwester. Uns allen das Beste, vor allem den Kindern natürlich. Alles, alles Gute – Deine Sylvette. Im Hafen von Hamburg, August 1914. – PS. Mutter hat nichts gesagt, aber ich bin sicher, insgeheim lässt auch sie dich grüßen.
    Sie ließ den Brief sinken, überflog ihn dann aber ein zweites Mal, ehe ihr bewusst wurde, dass sie darüber Fuente und die Waffe vergessen hatte. Mit einem raschen Blick vergewisserte sie sich, dass er sich nicht von der Stelle bewegt hatte. Er beobachtete sie aufmerksam, registrierte jede ihrer Regungen, ihre Mimik.
    »Warum haben Sie mir den nicht früher gegeben?«, fragte sie. »Spielt das eine Rolle?«
    Nein, natürlich nicht. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass er den Brief schon vor ihr gelesen hatte. Sie hätte erleichtert sein sollen, dass Sylvette und ihre Mutter in Sicherheit waren, und auch um das Schloss machte sie sich keine Sorgen, nicht einmal um das Grab ihres Vaters, auf dem noch immer das Gilgamesch-Kraut wuchs – und trotzdem war ihr schwindelig, weil damit eine weitere Brücke hinter ihr abgebrochen worden war, diesmal ohne ihr Zutun, und doch… Das Schloss bot ihr vorerst keine Zuflucht mehr.
    Sylvette und ihre Mutter in Amerika, Gian und Tess in Uruk – und sie selbst? In einem feuchten Loch in den Pyrenäen, zusammen mit einem Wahnsinnigen, der in ihr offenbar so etwas wie die Reinkarnation ihres Vaters sah.
    Sie steckte den Brief ein, wohl wissend, dass sie ihn in den kommenden Tagen wieder und wieder lesen würde. In Augenblicken wie diesen wurde ihr bewusst, welche Zuneigung sie für ihre jüngere Schwester empfand – und welche Dankbarkeit. Sylvette war in den Jahren nach Gillians Verschwinden ihr Rückhalt gewesen, ihre Er-dung in der Wirklichkeit. Das war es, was sie mehr als alles andere nötig gehabt hatte. Sylvette hatte das viel früher durchschaut als sie selbst.
    Sie gab ihm einen Wink. »Den zweiten Umschlag!«
    Fuente wog ihn in der Hand, als beinhalte er eine ganz besondere Kostbarkeit. »Um ehrlich zu sein, ich habe lange überlegt, ob ich Ihnen diesen Brief wirklich zeigen soll.«
    »Mein Gott, Fuente, ich habe Ihre dummen Spielchen dermaßen satt!« Ehe sie sich bremsen konnte, sprang sie auf und schlug ihm mit den flachen Hand ins Gesicht, heftiger, als sie selbst für möglich gehalten hätte. Er taumelte zurück, fing sich, hielt aber immer noch den Umschlag in der Rechten. Ein grelles Irrlichtern geisterte durch seine Augen, als er sie wütend anstarrte und dennoch keinen Versuch machte, sie ihrerseits anzugreifen. Aura aber setzte nach, rammte ihm ohne zu zögern ihr Knie zwischen die Beine und sah zufrieden zu, wie er zu Boden sank. Seelenruhig setzte sie ihm die Revolvermündung auf die Stirn.
    »Ab jetzt«, brachte sie gepresst zwischen den Zähnen hervor, »laufen die Dinge ein wenig anders, Fuente.

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