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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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zu kennen, an dem das Verbum Dimissum verborgen ist.«
    Sie öffnete den Mund, wollte sprechen, sog dann aber nur schneidend die Luft ein.
    »Sie glauben mir nicht?«, fragte er schmunzelnd. »Ein Ort, sagen Sie?«
    »Ich weiß, was Sie denken. Wie kann es an einem konkreten Ort versteckt sein? In einem Text, vielleicht, einem theologischen Diskurs. Aber nicht an einem Ort! Sehen Sie, Aura, es ist, als könnte ich Ihre Gedanken lesen.«
    »Das bezweifle ich.«
    »Ich werde Ihnen noch mehr erzählen von dem, was Nestor geglaubt hat. Wissen Sie eigentlich, was Ihren Vater hierher verschlagen hat? In die Pyrenäen?«
    »Nein.«
    »Haben Sie jemals von Montségur gehört?«
    »Die Katharerfestung?«
    »Ganz richtig. Sie liegt auf einem Berg im französischen Teil des Gebirges. Heutzutage pilgern viele Leute dorthin, weil sie von den alten Legenden gehört haben.«
    Sie dachte nach, grub in ihrem Gedächtnis nach Fakten. »Die Katharer waren im Mittelalter eine christliche Gruppierung, die gegen die Kirche aufbegehrte. Weil sie die Sakramente ablehnten, gegen die Kreuzzüge protestierten und die Existenz der Hölle verleugneten, erklärte der Papst die Katharer zu Ketzern und rief zu einem Kreuzzug gegen sie auf. Die letzten von ihnen verschanzten sich auf Montségur. Die Festung wurde belagert und schließlich erobert, und es kam zu einem Massaker.«
    »Das ist die Historie. Ich aber spreche von der Legende. Dem Mythos.«
    Sie lachte abfällig. »Sie meinen die Geschichte, dass auf Montségur der Heilige Gral aufbewahrt wurde? Das ist ein Ammenmärchen. Mittlerweile steht das in jedem Reisebericht, und es ist ungefähr so wahr wie die Legende vom Weihnachtsmann.«
    »Ihr Vater scheint der Sache trotzdem nachgegangen zu sein. Irgendwann im achtzehnten Jahrhundert muss das gewesen sein. Er reiste nach Montségur und fand erwartungsgemäß nicht mehr als ein paar zerstörte Festungsmauern auf einer Bergspitze. Aber er ist der Spur wohl noch eine Weile länger gefolgt, ohne Erfolg, natürlich. Und trotzdem erinnerte er sich vermutlich an etwas, das er viele Jahrhunderte zuvor gehört hatte: Dass nämlich der Gral nach dem Untergang der Katharer nach Spanien gebracht wurde.«
    Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich kann mich erinnern, dass ich etwas darüber in den Unterlagen meines Vaters gelesen habe. Aber das ist fünf, sechs Jahre her.«
    Fuentes Augenbrauen rückten zusammen. »Sagen Sie, diese Unterlagen… Hat er mich nicht darin erwähnt?«
    Vielleicht wäre es klüger gewesen, ihn anzulügen, aber sie entschied sich für die Wahrheit. »An keiner Stelle.«
    Mit einem zornigen Laut wirbelte er herum. Sein langes Haar wehte wie ein Fächer aus Spinnweben. Sein ausgestreckter Arm stieß ge-gen eine der alten Versuchsanordnungen und fegte sie vom Tisch. Tiegel und Glaskugeln zerbarsten mit einem schrillen Klirren am Bo-den.
    Fuente atmete schwer, als er sich erneut zu ihr umwandte. Seine tückischen Augen fixierten sie wieder. »Entschuldigen Sie«, sagte er, aber sein Tonfall strafte die Worte Lügen.
    »Mein Vater war nicht gerade ein gerechter Mann«, sagte sie vorsichtig. Mit der Waffe in der Hand war sie ihm überlegen, und doch spürte sie eine tiefe, instinktive Scheu vor seinem dunklen Blick, dem langen Hexenhaar.
    »Nein«, sagte er knapp, atmete noch einmal tief durch und wurde schließlich ruhiger. »Das war er nicht. Aber er hat nie etwas ohne Grund getan.«
    »Die Aufzeichnungen waren lückenhaft«, sagte sie. »Außer einem Bild, einer Kaufurkunde und ein paar Bemerkungen in Nebensätzen gab es nichts über diesen Ort.«
    Fuente straffte sich. »Vielleicht war das alles nichts Besonderes für ihn. Vielleicht gab es viele wie mich in all den Jahrhunderten.«
    Sie hatte das Gefühl, ihn besänftigen zu müssen, obwohl ihr das völlig grotesk erschien. Er hatte keinen Trost verdient, nicht nach al-lem, was er getan hatte. »Hören Sie, wir haben jetzt keine Zeit, um über die Motive meines Vaters zu spekulieren. Erzählen Sie mir lieber mehr über das Verbum. Von mir aus auch über den Gral.«
    Sein Atem beruhigte sich allmählich. »Ihr Vater erinnerte sich, dass er im vierzehnten Jahrhundert einer versprengten Gruppe von Katharern begegnet war. In Spanien. Und dass sie in ihrer Kirche einen Kelch aus Stein aufbewahrten, von dem sie behauptete, es sei der Gral. Aber das war zu jenen Zeiten nichts Ungewöhnliches. Alle möglichen Gruppierungen behaupteten, den Gral zu besitzen, oder einen Nagel aus dem

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