Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
sie sanft und ohne seine Hand loszulassen. Sie hätte seine Tochter sein können. Gar kein so unangenehmer Gedanke. »Wenn es einen zweiten Hinweis geben wird, dann nicht in meinem Zimmer. Wenn mir der Stern wirklich eine Richtung zeigen will, muss ich ihn anderswo finden.«
    »Wo willst du danach suchen?«
    »Ich glaube nicht, dass das nötig ist. Nicht, wenn ich mit meiner Vermutung richtig liege, dass derjenige, der den Abdruck hinterlassen hat, mich gut genug kennt. Er wird versuchen, meine nächsten Schritte vorauszusehen. Und denk nur an die Magi – sie haben nichts anderes getan, als auf ihren Berg zu steigen und zum Himmel zu blicken. Ich muss nur die Augen offen halten. Der Stern erscheint dann von selbst.«
    Philippe war nicht überzeugt. »Mir gefällt das alles nicht.«
    »Mir auch nicht«, sagte sie und überlegte, ob das eine Lüge war. Aber wenn es denn eine Hand aus Blut sein sollte, die sie aus dem Abgrund ihres Selbstmitleids zog, dann würde sie auch die nicht ausschlagen.
    »Was hast du vor?«
    »Ich werde versuchen, ein wenig mehr über die Legende vom Stern des Magus herauszufinden. Möglich, dass darin eine Antwort liegt.«
    »So wie ich die Sache sehe, kennst du nicht einmal die Frage, die du stellen musst.«
    Sie dachte kurz nach, wie er das meinte, dann stimmte sie ihm wortlos zu. Sie wusste nichts. Alles war offen. Das Spielbrett lag vor ihr. Alle Richtungen, alle Züge waren möglich.
    »Du denkst, du tust das für dich«, sagte Philippe. »Aber das stimmt nicht.«
    »Wie meinst du das?«
    »Du glaubst, du hast keine andere Wahl. Und das gefällt dir. Gian kann dir jetzt nicht mehr den Vorwurf machen, dass du dich freiwillig von deiner Familie fernhältst. Jemand hat dich herausgefordert, und dem darfst du dich nicht entziehen.«
    »Du denkst, ich benutze das als Vorwand?«
    Er schüttelte sachte den Kopf. »Das Verbum war ein Vorwand. Das hier ist es nicht. Nicht für dich.« Leiser setzte er hinzu: »Die Frage ist nur, ob Gian das genauso sehen würde, nicht wahr?«

KAPITEL 4
    Das Mittelmeer im Hochsommer. Endlose Wellenkämme unter einem Himmel so klar wie ein Edelstein. Ein heißer Wind von Süden, der den Staub aus den Wüsten Afrikas mit sich trug: Manchmal fiel es schwer zu unterscheiden, ob einem der Sand oder das Salz der See zwischen den Zähnen knirschte.
    Gillian, der Hermaphrodit, stand am Bug des Schiffes, beschattete die Augen mit der Hand und blickte nach Norden. In weiter Ferne konnte er die Küste Siziliens sehen, kaum mehr als ein Federstrich am Horizont.
    Wenn sie nur bald an Land gehen könnten…
    Aber sie würden nicht in Sizilien vor Anker gehen, so sehr er sich auch wünschte, wieder italienischen Boden zu betreten. Dort, wenn auch viel weiter nördlich, in Venedig, war vieles einfacher gewesen. Sie hatten gewusst, wohin sie gehörten. Der Palazzo war ihr Zuhause gewesen, ihre Zuflucht. Für ihn noch ein wenig mehr als für die anderen Mitglieder des Ordens. Damals, vor acht Jahren, war dies der einzige Ort gewesen, an dem er sich verkriechen und seine Wunden lecken konnte.
    Wehmütig wandte er den Blick von der fernen Küste und schaute auf die See. Alles war schwieriger geworden, selbst diese Überfahrt. Bei ihrer ersten Überquerung des Mittelmeers vor einem Jahr hatte niemand sie behelligt. Jetzt aber kreuzten sie täglich die Routen der Kanonenboote, mal aus Italien, mal aus Frankreich, dann wieder ein vereinzeltes Kommando der Engländer oder Deutschen. Einige hat-ten sie angehalten, hatten Ladung und Passagiere kontrolliert, als befürchteten sie, eine Invasionsflotte verstecke sich in den Laderäumen des kleinen Transportschiffs. Dabei spielte es nicht einmal eine Rolle, dass sie die Hoheitsgewässer mieden, denn hier draußen führten sich neuerdings alle Nationen auf wie die neuen Beherrscher des Erdballs.
    Gillian wusste, dass ihre Reise gefährlich war. Die ganze Mission war ein Wagnis. Wenn er wenigstens den wahren Sinn verstanden und sich selbst hätte glauben machen können, dass es um mehr ging als die Erfüllung des letzten Wunsches eines Sterbenden. Aber das konnte er nicht.
    Er seufzte, hielt das Gesicht einen Augenblick in die heiße Brise und drehte sich schließlich um. An die Reling gelehnt blieb er stehen, den Blick aufs Deck gerichtet.
    Eine junge Frau, schlank, mit kurzem, dunklem Haar kam die Treppe vom Unterdeck herauf, entdeckte ihn und lächelte flüchtig. Er nickte ihr zu, alles in Ordnung hier oben, alles klar, und schaute dann zu,

Weitere Kostenlose Bücher