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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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selbst genug über Alchimie, um ihr zu glauben. Seine Bildung in diesen Dingen war beträchtlich, auch wenn sie vermutete, dass die Lehre für ihn nicht viel mehr als eine vorübergehende Modeerscheinung war. Seit Jahren galt Paris als heimliche Hauptstadt der Alchimisten, und längst war es in der besseren Gesellschaft en vogue, okkulten Zirkeln anzugehören, spiritistische Sitzungen abzuhalten und über das Große Werk zu sprechen, als ginge es um eine besonders hübsche Geburtstagstorte. Philippe war äußerst anfällig für Moden aller Art. Manchmal fragte sie sich, wie es möglich war, dass sie gerade ihm ihr Vertrauen geschenkt hatte. Aber sie musste ihn jetzt nur ansehen, seinen sorgenvollen und zugleich besänftigenden Blick, und sie wusste wieder, dass er der Einzige war, mit dem sie darüber sprechen konnte.
    »Sechs Finger«, sagte sie schließlich. »Eine Hand mit sechs Fingern. Erinnert dich das an etwas?«
    »Nein.«
    »Saint-Bonaventure«, sagte sie.
    Irritiert sah er sie an. »Saint-Bonaventure?«
    »Die Kirche von Saint-Bonaventure in Lyon. Das Nordportal der Kathedrale von Chartres. Oder Saint-Vulfran in Abbeville. Es gibt zahllose andere Beispiele. Fällt dir nichts dazu ein?«
    Er zuckte verwirrt die Achseln. »Warum verrätst du es mir nicht einfach?«
    »Sie alle haben eine ganz bestimmte Rota.«
    »Ein Rad?«, fragte er verständnislos. In Wahrheit war er nicht halb so gebildet, wie er gelegentlich vorgab. »Hilf mir auf die Sprünge.«
    »Rota bedeutet Rad, richtig. Aber es ist auch der Name der runden Mittelfenster in den mittelalterlichen Kathedralen. In vielen Kathedralen stellt die Rota eine Rosenblüte mit sechs Blütenblättern dar. Das ist einer der Gründe, warum einige Alchimisten der Ansicht sind, die Baumeister kannten die Rezeptur für das Große Werk, den Stein der Weisen, das Aurum Potabile. Welchen Namen du ihm auch immer geben willst.«
    »Was hat das mit der Hand auf deinem Bett zu tun?«
    »Die Rose mit sechs Blättern ist mehr als nur eine Verzierung.
    Oft hat sie mehr Ähnlichkeit mit einem sechsstrahligen Stern. Dem Stern des Magus.«
    Philippe grinste, aber es wirkte ein wenig fahrig, so als hätte sie ihn bei etwas ertappt, das ihm unangenehm war. »Ich sehe schon, ich sollte mehr Zeit mit Büchern verbringen als mit den jungen Herrn der Gesellschaft.«
    »Die Legende vom Stern des Magus ist uralt. Zum ersten Mal hat sie ein Autor im sechsten Jahrhundert erwähnt. Er erzählt von einem Volk, das viele Jahrhunderte zuvor irgendwo im Fernen Osten gelebt hat und ein magisches Buch besaß, das Buch des Seth. Darin wurde offenbar die Geburt eines Gottessohnes angekündigt und das Erscheinen eines Sterns, der die Gläubigen zu ihm fuhren sollte.«
    »Klingt nach dem Stern von Bethlehem.«
    »Die beiden scheinen tatsächlich mehr oder minder identisch zu sein. Falls allerdings das Buch des Seth tatsächlich existiert hat, erwähnte es den Stern lange vor Christi Geburt und nicht erst danach wie die Bibel. Möglicherweise haben sich die Evangelisten bei der Legende bedient, was nicht weiter ungewöhnlich wäre. Sie haben Dutzende, wenn nicht Hunderte von Mythen geplündert, um die Wunder des Neuen Testaments zu beschreiben. Aber zurück zu dem Stern: Nachdem die Weisen im Buch des Seth davon gelesen hatten, ernannten sie zwölf aus ihrem Kreis, jeder ein so genannter Magus, ein Magier. Die zwölf Magi versammelten sich jedes Jahr nach der Erntezeit auf einem Berg und hielten nach dem Stern Ausschau, damit er ihnen die Ankunft eines Gottessohnes offenbare. Viele Jahre warteten sie, dann Jahrzehnte, schließlich Jahrhunderte. Wenn einer der Magi starb, nahm sein Sohn seine Stelle ein, dann dessen Sohn und so weiter, Generation um Generation. Jedes Jahr brachten die Männer ihre Ernte ein, erklommen den Berg und saßen dort drei Ta-ge lang in völliger Stille, die Augen zum Himmel gewandt. Dann, endlich, tauchte er über dem nächtlichen Horizont auf, ein Stern mit sechs gleißenden Strahlen. Die Magi entdeckten ihn, packten ihre Sachen und folgten ihm. Dreizehn Tage zogen sie dem Stern hinter-her, verspürten dabei weder Hunger noch Durst, ehe sie endlich ans Ziel gelangten und dem neugeborenen Sohn Gottes ihre Aufwartung machen konnten.« Sie machte eine kurze Pause, dann setzte sie hinzu: »Diesen Teil der Geschichte kennt natürlich jedes Kind, mit dem Unterschied, dass die Bibel aus den zwölf Magi die drei Weisen aus dem Morgenland gemacht hat.«
    Philippe war zwischendurch

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