Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Geräusch stammte von einem Paar Würfel, das auf einer Holzplatte ausrollte.
    Die Zwillinge schoben sich jetzt noch rücksichtsloser vorwärts, nutzten den letzten Augenblick vor dem Ausbruch des Chaos. Kaum hatten sie die Tür erreicht und Aura in ihre Mitte genommen, drehten sich die beiden zur Menge um – und rissen ihre Koffer auf.
    Geldscheine flatterten wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm empor, wölkten um die Gesichter der Umstehenden und senkten sich sacht zu Boden. Hunderte, tausende Scheine, ein kleines Vermögen schwebte umher, und diesmal reagierten die Menschen schneller.
    Innerhalb eines Atemzugs explodierte die Menge wie ein überheizter Lokomotivkessel. Alle drängten sich in Richtung der Scheine, jeder wollte an dem überraschenden Geldsegen teilhaben. Männer und Frauen prügelten aufeinander ein, rissen an Haaren, und ließen ihre Fäuste blindlings kreisen, bis sie auf Fleisch und Knochen trafen. Die Gendarmen hatten nicht die Spur einer Chance. Sie wurden unter die Oberfläche der Menschenflut gezerrt, ungeachtet ihrer Uniformen. Eine Faust rammte einem die Pfeife zwischen die Zähne, ein anderer wurde von einem halben Dutzend Frauen niedergetrampelt, als diese versuchten, das Geld zu erreichen.
    Aura und den Schwestern gelang die Flucht, ehe die Tür von kreischenden, schlagenden, tobenden Menschen verstopft wurde. Außer ihnen stürmten noch zwei Männer die Stufen hinauf. Alle anderen waren unten in der Halle beschäftigt: Die einen bückten sich und sammelten Scheine auf, andere prügelten aufeinander ein, während der Rest rücksichtslos nachdrängte. An die Polizei dachte niemand mehr.
    Das Licht einer Gaslaterne badete die Gesichter der Kaskaden-Zwillinge in fahles Weiß, als Aura am Ende einer Gasse neben ihnen zum Stehen kam.
    »Sie haben das alles geplant?« Sie hatte Seitenstechen und bekam nur wenig Luft, doch es reichte, um ihr Erstaunen in Worte zu fassen.
    »Natürlich.« Salome, genauso außer Atem wie sie, nickte. Eine blonde Haarsträhne klebte verschwitzt an ihrer Stirn. »Deshalb die Koffer.«
    Lucrecias Lippen verzogen sich zu einem halbherzigen Lächeln. »Es hilft enorm, wenn einen die Polizei unterschätzt. Daran haben wir hart gearbeitet.«
    Aura schaute von einer zur anderen. Sie wollte diese beiden nicht mögen, spürte aber, dass es dafür eigentlich keinen Grund gab. »Ich muss zurück ins Hotel, meine Sachen packen.«
    »Es ist sicher nicht die schlechteste Idee, Paris so schnell wie möglich zu verlassen«, sagte Salome, und Lucrecia nickte zustimmend.
    »Wohin werden Sie gehen?«, fragte Aura. »Im Osten ist die Front. Dort werden Sie nicht durchkommen.«
    »Vielleicht auf eine Pilgerreise«, sagte Lucrecia mysteriös und sah überraschend ernst dabei aus. »Das wäre angebracht, schätze ich.«
    Aura fragte nicht weiter. Sie schüttelte beiden die Hände.
    »Gute Fahrt. Passen Sie aufeinander auf. Und machen Sie so et-was wie heute Abend nicht allzu oft.«
    Die Zwillinge grinsten verschämt wie junge Mädchen, die sich gerade eingestanden hatten, dass Jungs eben doch mehr sind als eine Plage.
    Kinder, dachte Aura mit widerwilliger Zuneigung. Verzogene Rotznasen, nicht mehr. Agenten? Übersinnlich begabte Medien? Vielleicht. Und doch bezweifelte sie, dass die Welt für die Schwestern mehr war als ein riesengroßer Spielplatz. Unvermittelt wechselten ihre Gedanken zum Chevalier. Hatte er sie tatsächlich nur zu den beiden gelockt, damit ihr dieselben Bilder erschienen wie ihm?
    Was, wenn er gewusst hatte, dass die Geheimpolizei heute Abend in der Wohnung der Schwestern auftauchen würde? War es sein wahres Ziel gewesen, Aura gemeinsam mit ihnen ans Messer zu lie-fern? Aber welchen Grund hätte er dafür haben können?
    »Auf Wiedersehen«, sagten die Schwestern, und Salome deutete sogar einen höflichen Knicks an, bevor sie ihre Schwester unterhakte und zielstrebig mit ihr davonmarschierte.
    Aura machte sich auf den Weg zum Hotel.
    Vor dem Eingang stand der Mann mit den schwarzen Glasrosen, aufgereiht in seinem Bauchladen wie ein Muster aus kristallenen Rasierklingen. Einmal mehr sprach er sie an, und einmal mehr ließ sie ihn stehen.
    Dann, in ihrem Zimmer, fiel ihr ein, was sie beinahe vergessen hätte. Eilig brach sie wieder auf. In der Eingangshalle sah sie ihr eigenes Spiegelbild in einem der hohen Wandspiegel, eine zierliche Gestalt in fließendem Schwarz. Und plötzlich waren in ihrem Kopf wieder diese beiden Worte, die sie völlig verdrängt

Weitere Kostenlose Bücher