Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche
Klienten.«
»Er spricht mit seiner toten Katze«, sagte Lucrecia.
Aura folgte den beiden hinaus auf einen wackligen Gittervorsprung. Die Treppe war schmal, sie mussten hintereinander gehen. Mehrfach verhakten sich die großen Koffer in den Streben des Geländers, und Salome wäre einmal fast gestürzt, hätte Aura sie nicht am Arm gepackt und gehalten. Ihre Schritte hallten metallisch von den Wänden der engen Gasse wider; es klang, als trommelte eine Horde Kinder auf Blechdosen. Es würde nicht lange dauern, bis die Polizisten versuchten, ihnen den Weg abzuschneiden.
Bersten und Knirschen ertönte, als die Wohnungstür aus den Angeln brach. Rufe wurden laut, aber es lagen zu viele Räume dazwischen, als dass Aura die Worte hätte verstehen können.
Unbehelligt erreichten sie den Boden. Die Gasse war keine drei Meter breit, ein tiefer Einschnitt zwischen den Gebäuden. Zwei winzige Gaslampen brannten am Anfang und am Ende, dazwischen lagen fünfzig Meter Finsternis.
Wortlos rannten sie los. Berge von Abfall, die im Dunkeln fast unsichtbar waren, behinderten ihr Fortkommen. Aura war die einzige, die beide Hände frei hatte und den Saum ihres Kleides heben konnte. Die Zwillinge dagegen verhedderten sich alle paar Schritte und waren bemüht, ihre Koffer nicht fallen zu lassen.
»Warum lassen Sie die Dinger nicht einfach hier?« Salome atmete stoßweise. »Da ist Bargeld drin.«
»Kommen Sie mit in mein Hotel«, sagte Aura gehetzt. »Ich kann Ihnen genug Geld geben, um die Stadt zu verlassen. Aber beeilen Sie sich, um Himmels willen!«
Salome schüttelte den Kopf. »Wir müssen uns trennen. Die mögen Sie ja nicht kennen, aber uns wird bald die ganze Gendarmerie von Paris suchen. Wir haben nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass wir Deutsche sind.«
Lucrecia wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn.
»Wir sind seit drei Jahren in Paris, aber erst jetzt ist unsere Herkunft plötzlich zum Problem geworden.«
Aura wollte etwas erwidern, als hinter ihnen der schrille Pfiff einer Polizeipfeife ertönte.
»O nein!«, rief Salome.
»Was?«
»Es sind so viele!«
Aura warf einen hektischen Blick zurück. Salome hatte Recht. Ein ganzer Pulk drängte in die Gasse, zehn Männer mindestens. Ein Aufgebot, das in keinem Verhältnis stand zu zwei harmlosen jungen Frauen, die ihren Unterhalt als Wahrsagerinnen verdienten. Es sei denn – ja, es sei denn, die beiden waren nicht ganz so harmlos, wie sie vorgaben. Ihr kamen Zweifel. Die Zwillinge hatten keine Sorge um ihr Hab und Gut, weil sie hochrangige Beamte der Gendarmerie zu ihren Kunden zählten. Aber welche anderen Gefallen verlangten sie noch von ihren Klienten? Welche Geheimnisse hatten sie ihnen entlockt?
Sie erreichten das Ende der Gasse. Vor ihnen lag eine schmale Straße, verlassen bis auf eine alte Frau, die starr auf ihre Füße blickte. Aura schaute zurück. Ihre Verfolger waren etwa dreißig Meter hinter ihnen. Immer wieder ertönten Pfiffe.
»Da entlang!« Lucrecia wies auf einen offenen Torbogen.
»Sie wissen, was Sie tun, hoffe ich.«
»Keine Sorge«, sagte Salome gehetzt. »Wir sind diesen Fluchtweg ein Dutzend Mal abgegangen, um ganz sicher zu sein.«
Hinter dem Torbogen lag ein enger Hof, in den eine weitere Gasse mündete, eigentlich nur ein Spalt, in dem sich Berge von Müll und Unrat häuften. Hier gab es keine Lampe, aber die Schwestern fanden auch so, was sie suchten: Eine Tür, in der Mitte der Gasse. Sie war nur angelehnt. Aura folgte ihnen ein paar Stufen hinunter in muffiges Zwielicht, dann einen Kellergang entlang. Ganz in der Nähe bellte ein Hund.
»Wo sind wir hier?«
»Das werden Sie gleich sehen!«
Sie hasteten weiter. Nach einigen Schritten fragte Aura:
»Stimmt es?«
Lucrecia sah sie nicht an. »Stimmt was?«
»Dass Sie Spioninnen sind.«
»Sind Sie eine?«, fragte Salome.
»Natürlich nicht.«
»Und trotzdem reisen Sie unter falschem Namen«, sagte Lucrecia. »Das heißt doch wohl, dass Sie etwas zu verbergen haben.«
»Aber…«
»Nein«, fiel ihr Salome ins Wort. So entschieden hatte sie den ganzen Abend über nicht geklungen. »Welchen Unterschied macht es also, was Sie sind, und was wir sind?«
»Spionin!« Lucrecia lachte bitter. »Das klingt so schrecklich dramatisch, nicht wahr?« Sie erreichte eine halbrunde Kellertür und blieb einen Moment lang stehen. »Und so banal.«
Aura hob die Schultern. Im Grunde interessierte es sie nicht, womit sich die Zwillinge ihren Luxus und ihre Sicherheit erkauft
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