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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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hatten. Wichtig wurde es nur, wenn man sie im Falle einer Festnahme mit den beiden in Verbindung bringen würde. Aura Institoris, Spionin im Auftrag Seiner Majestät des Kaisers. Es gab viele Gerüchte über Agenten und Doppelagenten, die zwischen Paris und Berlin pendelten, und nicht wenige betrafen Damen der besseren Gesellschaft, die in den Schlafzimmern von Offizieren und Politikern auf die Jagd nach Staatsgeheimnissen gingen. Warum sollten all diese Frauen ihre Ziele allein im Bett erreichen? Die Kaskadens mochten auf ihre Weise ebenso erfolgreich sein.
    Wieder ertönten die Alarmpfeifen der Gendarmen, gedämpft durch Mauern und Türen. Falls die Zwillinge gehofft hatten, die Männer im Labyrinth der Gassen und Durchgänge abzuhängen, so sahen sie sich getäuscht. Ihre Verfolger waren noch immer auf der richtigen Spur.
    »Wie sicher ist dieser Weg?«, fragte Aura. »Warten Sie’s ab.«
    »Das hier ist kein Spiel!«
    »Nein«, sagte Lucrecia. »Natürlich nicht. Ich kann Ihnen versichern, dass sich unser sportlicher Ehrgeiz in Grenzen hält.«
    Die junge Frau hatte die ganze Zeit über an der Tür hantiert. Aura hatte angenommen, dass sie klemmte. Als aber der Türflügel aufschwang, erkannte sie, dass er durch ein winziges Vorhängeschloss gesichert war. Lucrecia hatte Mühe gehabt, den Schlüssel hineinzuschieben; ihre zitternden Finger verrieten, dass sie nicht ganz so ge-lassen war, wie sie sich gab.
    Jenseits der Tür lag zu Auras Enttäuschung nur ein weiterer Kellergang. Salome drehte an einem Schalter. Elektrisches Licht ergoss sich aus trüben Lampen an der Gewölbedecke.
    »Weiter«, sagte Lucrecia zu Aura. »Kommen Sie!«
    Die Tür fiel hinter ihnen zu, aber keine der Schwestern machte sich die Mühe, das Vorhängeschloss an der Innenseite anzubringen. Durch den Türspalt hatte Aura gerade noch erkennen können, dass sich oberhalb der Stufen am anderen Ende des Gangs etwas bewegt hatte. Mehrere Gestalten in Uniform.
    Den Gang hinunter, durch eine angelehnte Gittertür – und plötzlich standen sie in einer unterirdischen Halle voller Menschen.
    Schon auf dem ganzen letzten Stück hatte Aura geglaubt, ein fernes Stimmengewirr zu hören. Sie hatte es wechselweise auf ihre Einbildung und auf ihre Verfolger geschoben. Jetzt erkannte sie, wohin die Schwestern sie geführt hatten.
    Mehrere Dutzend Männer und Frauen drängten sich um runde Tische, auf denen flinke Hände Karten ausgaben, Würfel rollten oder Hütchen bewegten. Die meisten der Anwesenden waren ärmlich gekleidet, nur hier und da stach ein Mann in teurem Anzug oder eine Dame in Abendgarderobe heraus, Gutsituierte, die sich in die schmutzige Welt der Armen verirrt hatten, in die Unterwelt von Paris, wo die Nachricht vom Krieg in Europa nicht mehr Wert hatte als das Stück Zeitungspapier, auf dem sie gedruckt war.
    Eine dichte Rauchglocke hing über den Köpfen der Menge. Die Musik eines Akkordeonspielers, der in einer Ecke mit geschlossenen Augen auf seinem Instrument spielte, wurde so vollständig vom Lärm der Stimmen verschluckt, dass kein einziger Ton an Auras Ohren drang.
    »Eine illegale Spielhölle«, sagte Lucrecia, und ihre Schwester fügte hinzu: »In Paris gibt es mehr als ein Dutzend davon – und das sind nur die, von denen wir erfahren haben.«
    Aura nickte gehetzt. »Und nun?«
    »Sehen Sie die Tür dort hinten?«, fragte Salome. »Auf der anderen Seite der Halle?«
    »Sicher.«
    »Dorthin müssen wir. Dann sind wir in Sicherheit.«
    »Wenn Sie das sagen.«
    »Vertrauen Sie uns.« Es war das dritte Mal, dass Aura den Satz an diesem Abend zu hören bekam. Die Umstände machten ihn nicht gerade überzeugender.
    Sie drängten sich durch die Menge, als Aura über ihre Schulter die Gendarmen sah, die sich der anderen Seite der Gittertür näherten. Es würde einen gehörigen Aufruhr geben, wenn die Spieler die Uniformierten entdeckten. Sie war nicht sicher, ob das wirklich in ihrem Interesse lag. Falls hier unten eine Panik ausbrach, würde es Tote ge-ben.
    Salome und Lucrecia pressten mit beiden Armen die Lederkoffer an sich, während sie sich drängelnd und schiebend durch die Meute der Spieler kämpften. Aura folgte ihnen, spürte mehrfach die Blicke der Umstehenden auf sich, gab sich aber alle Mühe, sie zu ignorieren.
    Sie hatten die Tür auf der anderen Seite fast erreicht, als die erste Polizeipfeife wie eine Sense durch das allgegenwärtige Raunen schnitt. Drei, vier Herzschläge lang herrschte völlige Ruhe. Das einzige

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