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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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herauszufinden, was er während seiner Zeit an Philippes Seite noch hatte mitgehen lassen.
    Je näher sie dem Zentrum kamen, desto schwieriger wurde es, das Pferd zwischen den stotternden Automobilen und den zahllosen Lichtern unter Kontrolle zu halten. Dennoch gelang es ihr, Raffael nicht aus den Augen zu verlieren.
    Vom Boulevard de Clichy bogen sie in eine der unzähligen Seitenstraßen, in die es nur selten motorisierte Fahrzeuge verschlug. Zwischen den Giebeln erkannte sie immer wieder für Sekunden den schwarzen Umriss Sacre-Coeurs vor dem erleuchteten Nachthimmel, hatte aber bald nur noch eine ungefähre Ahnung, wo sie sich befand.
    Der Kutscher stoppte die Pferde vor einem unscheinbaren Haus, das in einer Reihe grauer, heruntergekommener Gebäude stand, wie sie das ganze Viertel beherrschten. Ein Gittertor mit verbogenen Spitzen stand weit offen, daneben steckte in einem gesprungenen Topf ein verdorrtes Baumgerippe. Die unteren Fenster des Hauses waren vergittert. In einigen der oberen Etage waren Wäscheleinen vor den Fenstern gespannt. Auf einer saß etwas, das sie nur undeutlich erkennen konnte und wohl ein Nachtvogel sein musste; er schien auf einen Punkt am Boden herabzustarren, ganz nahe neben ihr.
    Sie hatte das Pferd gezügelt, als die Kutsche angehalten hatte, und befand sich nun etwa zwanzig Meter hinter dem Gefährt. Rasch glitt sie aus dem Sattel und führte den Wallach in einen Torbogen. Von hier aus beobachtete sie, wie Raffael vom Kutschbock sprang, ein paar Worte mit dem Kutscher wechselte und ins Haus eilte. Derweil machte sich der Fahrer daran, im Schatten einer Litfasssäule die Kisten abzuladen.
    Aura wartete, bis Raffael im Gebäude verschwunden war, dann führte sie das Pferd zur Kutsche hinüber, gab sich dem Mann, einem Angestellten Philippes, zu erkennen und bat ihn, mit dem Abladen zu warten und ihr Pferd zu halten. Er widersprach nicht. Augenscheinlich hegte auch er keine großen Sympathien für den Liebhaber seines Herrn.
    Aura holte tief Luft, dann folgte sie Raffael durch das Gittertor und über eine schmale Treppe ins Haus. Die Tür war nur angelehnt. Aus dem Treppenhaus quoll ihr der abgestandene Geruch von gekochtem Kohl entgegen, vermischt mit anderen Gerüchen einer drittklassigen Mietskaserne.
    Sie hörte Raffaels Schritte über sich auf den Stufen. Er lief nach ganz oben, zur Wohnung unter dem Dach. Sie wartete, bis eine Tür ins Schloss fiel, dann eilte sie die Treppe hinauf.
    Vor der einzigen Tür im Dachgeschoss blieb sie stehen und wartete, bis sich ihr Atem beruhigt hatte. Sie lauschte, konnte aber nichts hören. Dann hob sie die Hand, um anzuklopfen.
    Im selben Augenblick wurde die Tür geöffnet.
    Der Mann, der sie erstaunt anstarrte, war nicht der Raffael, den sie kannte. Das heißt, er war es. Und doch hatte er in diesem Augenblickkaum mehr Ähnlichkeit mit sich selbst. Die einzige Konstante in seinem Gesicht war der kleine Höcker auf dem Nasenrücken. Einen Moment lang sah Raffael so aus, als erwartete er, sie würde ein zweites Mal zuschlagen.
    Nicht, dass ihr nicht danach zumute gewesen wäre. Aber da war etwas an ihm, das sie verstörte. Etwas Neues, das sie nicht einschätzen konnte. Etwas, das nicht im Mindesten in das Bild passte, das sie sich von ihm gemacht hatte.
    Sie erkannte Sorge. Und Scham.
    »Aura?«
    Sie nickte ihm knapp zu. »Raffael.«
    »Was tust du hier?«
    Sie versuchte, einen Blick über seine Schulter in die Wohnung zu werfen. Es war düster dort drinnen. »Hier wohnst du also, wenn du nicht gerade reiche Liebhaber bestiehlst.«
    Seine Tonfall war hektisch und ohne jede Aggression. »Aura, nicht jetzt. Bitte.«
    Sie wurde unsicher, wollte es sich aber nicht anmerken lassen. Flink schlüpfte sie an ihm vorbei in die Wohnung.
    Sein blondes Haar war verschwitzt und strähnig. »Hör zu, Aura. Ich muss dich wirklich bitten zu gehen.«
    So sprach nicht der Raffael, den sie in all den Monaten zu verachten gelernt hatte. Sein ganzer Charakter schien wie ausgetauscht. Wie ein Schauspieler, der nach dem letzten Vorhang seine Rolle mit dem Kostüm in der Garderobe abgestreift hat.
    Obwohl sie mit einemmal einen Anflug von schlechtem Gewissen verspürte, blieb sie und schaute sich um. Raffael wagte nicht, sie zu berühren oder gar gewaltsam aus der Wohnung zu werfen, und in ihr brannte die Frage, was seinen Wandel verursacht hatte. Etwa die Tatsache, dass sein Diebstahl aufgeflogen war? Irgendwie schien ihr das nicht genug, nicht für eine solche

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