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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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So blass wie das zerwühlte Bettzeug unter dem Fenster. Außerdem war sie zu dünn. Mochten andere ihr auch einreden wollen, sie sei schlank und auf feenhafte Weise hübsch, so empfand sie selbst sich nur als mager und knochig. Und was war das für ein Pickel auf ihrer Stirn? Auch das noch. Sie drückte so lange daran her-um, bis rote Halbmonde in der Haut erschienen und die Entzündung umrahmten wie Kreise auf einer Zielscheibe. Wunderbar.
    Tess schnitt sich selbst eine Grimasse, schaute noch einmal mürrisch auf die rote Stelle in der Mitte ihrer Stirn, dann kroch sie unter die Decke. Sie wollte nicht an Gian denken. Wollte auch nicht einschlafen, denn sie wusste, dass dann die Träume kamen.
    Als sie die Augen dennoch schloss, galoppierte der Ritter durch die Schwärze hinter ihren Lidern.
    In der Nacht drang die Kälte der Wüste durch die Ziegelmauern, wehte durch die Ritzen der Fenster und unter den Türen hindurch.
    Tess träumte von einem weiten, öden Land, auf dessen Felsen sich mächtige Burgen erhoben. Sie sahen aus, als hätten die Baumeister des Abend- und Morgenlandes gemeinsam Festungen errichtet, in denen sich der Charakter beider Kulturen vereinte.
    Etwas geschah in dieser Einöde, aber als Tess erwachte, konnte sie sich an nichts erinnern. Da waren Menschen in ihrem Traum gewesen. Und ein Ort, der wichtiger war als alle anderen, aus einem Grund, den sie nicht erfassen konnte und der jetzt, da sie wach war, auch keine Rolle mehr spielte.
    Allmählich wichen Verwirrung und Neugier. An ihre Stelle trat et-was anderes. Furcht.
    Tess spürte deutlich, dass sie nicht allein im Zimmer war.
    »Wer ist da?«
    Es war so dunkel, dass sie nur den Umriss des Fensters sehen konnte, sanft erhellt vom Sternenhimmel, der hier draußen so unendlich größer und leuchtender zu sein schien als in ihrer Heimat.
    »Wer ist da?« Noch mal dieselbe Frage. Und keine Antwort.
    Sie richtete sich auf und hörte ein Rascheln. Jemand entfernte sich von ihr.
    Ganz kurz kämpfte sie gegen den Drang, laut um Hilfe zu schreien. Sie war alt genug, um allein klar zu kommen. Wenigstens so lange der Eindringling keinen gebogenen Araberdolch zog. So lange er nicht versuchte, ihr Gewalt anzutun.
    Vielleicht sollte sie doch schreien. Nein, du bist kein Kind mehr.
    Die Tür wurde geöffnet – von innen! –, dann huschte ein Schemen hinaus und verschwand auf dem Gang. Nur ein wenig größer als sie selbst. Und nicht mit den gleitenden, verstohlenen Bewegungen der Einheimischen.
    »Gian?« Sie sprach leise, flüsterte seinen Namen nur. Zu fassungslos, um zornig zu sein. Was suchte er nachts in ihrem Zimmer, neben ihrem Bett?
    Sie wollte die Antwort nicht wissen, auch wenn sie offensichtlich war. Sie hatten doch einen Schwur geleistet, alle beide! Er hatte es genauso gewollt wie sie. Keine fremden Erinnerungen mehr.
    Vielleicht hatte sie sich getäuscht. Einer der Arbeiter war ins Haus eingebrochen. Wahrscheinlich hatte sie Glück gehabt, dass ihr nichts Schlimmeres zugestoßen war.
    Es musste einer der Arbeiter gewesen sein. Nicht Gian. Niemals Gian.
    Sie sprang auf, glitt in eine der weiten Männerhosen, die die Frau des Professors für sie gekürzt hatte, stopfte das Hemd, das sie zum Schlafen trug, in den Bund und lief auf nackten Füßen hinaus auf den Gang.
    Wer immer in ihrem Zimmer gewesen war, er hatte genug Zeit gehabt, um zu verschwinden. Sie hatte zu lange gezögert. Und insgeheim war sie froh darüber. Es war besser, die Wahrheit nicht zu kennen. Die Bestätigung hätte nur noch mehr geschmerzt.
    Trotzdem ging sie weiter den dunklen Gang hinunter, vorbei an der geschlossenen Schlafzimmertür des Professors und seiner Frau, hinaus in den Vorraum, der zugleich als Esszimmer diente. Von dort führten Türen zur Küche, zu zwei kleinen Lagerräumen und zum Zahlzimmer, wo Professor Goldstein einmal in der Woche die Arbeiter ausbezahlte; das Zimmer hatte einen Ausgang ins Freie, damit die Arbeiter nicht die Privaträume betreten mussten. Normalerweise war die Verbindungstür zum Vorraum geschlossen. Jetzt aber stand sie offen, und Tess’ Blick fiel auf den Umriss des schweren Stahltresors. Der kühle Luftzug war hier viel stärker als in ihrem Schlafzimmer. Im Näherkommen sah sie, dass auch die Außentür des Zahlzimmers weit geöffnet war.
    Vielleicht hätte sie den Professor wecken sollen, spätestens jetzt war der Zeitpunkt dafür gekommen. Es sah aus, als hätte jemand versucht, an das Geld im Tresor heranzukommen. Danach hatte

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