Die alte Jungfer (German Edition)
Alençon machte. Am Abend vorher hatte der arme begabte junge Mann keinen einzigen Gönner; als er tot war, riefen tausend Stimmen: »Wie gern hätte ich ihm geholfen!« Es ist so bequem, ohne Unkosten wohltätig zu sein! Der Chevalier de Valois konnte eine Erklärung für den Selbstmord geben. In einem Anfall von Rachsucht enthüllte der Edelmann die naive, aufrichtige, schöne Liebe, die Athanase für Mademoiselle Cormon hegte. Madame Granson entsann sich nun daraufhin unzähliger kleiner Umstände, die dem Chevalier recht gaben. Die Geschichte wurde rührend, einige Frauen weinten. Für Madame Gransons Schmerz, der stumm nach innen gekehrt war, hatte man geringes Verständnis, Die Mütter trauern auf zwei verschiedene Arten. Wenn eine Mutter einen Sohn verliert, der geachtet, bewundert, jung und schön war, einer großen Zukunft entgegenging oder schon berühmt war, so erregt dies allgemeines Bedauern; die Welt hilft den Schmerz mit tragen und mildert ihn durch ihre Teilnahme. Doch der Schmerz jener Mütter, die allein wissen, was ihr Kind war, denen allein sein Wert lächelte, die allein die Schätze eines allzufrüh abgebrochenen Lebens kannten: dieser Schmerz verbirgt seinen Trauerflor, dessen Farbe andere Trauerbekundungen verblassen läßt; aber er stellt sich nicht aus. Glücklicherweise gibt es wenige Frauen, die davon wissen, welche Herzenssaite dabei für immer zerreißt. Bevor Madame du Bousquier in die Stadt zurückkam, war schon eine von ihren guten Freundinnen, die Präsidentin du Ronceret, zu ihr geeilt, um ihr diesen Leichnam auf das Rosenbett ihrer Freuden zu werfen und ihr zu eröffnen, welcher Liebe sie sich versagt hatte. Tropfen für Tropfen goß sie ihr den Wermut in den Honigmond ihrer Ehe. Als Madame du Bousquier nach Alençon wiederkehrte, traf sie Madame Granson zufällig an der Ecke des Val-Noble. Der Blick der zu Tode betrübten Mutter traf sie ins Herz. Er war wie geladen mit Anklagen und Verwünschungen. Madame du Bousquier war darüber entsetzt; dieser Blick verkündete und wünschte ihr Unglück. Am Abend nach der Katastrophe begab sich Madame Granson, nachdem sie ihren Sohn mit eigener Hand in das Leichentuch gehüllt und dabei an die Mutter des Heilands gedacht hatte, von fürchterlicher Angst bewegt in das Haus des konstitutionellen Pfarrers. Sie hatte zu denen gehört, die dem Stadtpfarrer am schroffsten gegenüberstanden, und zu dem Vikar von Saint-Léonard gehalten; doch schauderte sie bei dem Gedanken an die Unbeugsamkeit ihrer eigenen Partei im Punkte der katholischen Doktrin. Sie fand den bescheidenen Priester damit beschäftigt, den Hanf und Flachs unterzubringen, den er allen armen Frauen und Mädchen der Stadt zum Spinnen gab, damit es den Arbeiterinnen nicht an Arbeit fehle; eine weise Fürsorge, die manchen Hausstand, der sich zum Betteln außerstande sah, vor dem Äußersten bewahrte. Der Pfarrer legte seine Arbeit beiseite und führte Madame Granson in das Zimmer, wo ein Mahl auf ihn wartete, das sie in seiner Einfachheit an ihren eigenen Haushalt erinnerte. »Monsieur l'Abbé«, sagte sie; »ich komme, um Sie zu bitten ...« Sie brach in Tränen aus und konnte nicht weiterreden.
»Ich weiß, was Sie herführt«, erwiderte der fromme Mann, »doch müssen Sie und Ihre Verwandte, Madame du Bousquier, es übernehmen, Seine Ehrwürden, den Bischof von Séez zu besänftigen. Ja, ich werde für Ihren unglücklichen Sohn beten, ich werde Messen lesen; aber vermeiden wir jedes Ärgernis und suchen wir zu verhindern, daß sich die Böswilligen der Stadt in der Kirche versammeln ... Ich allein will, ohne andere Geistliche, in der Nacht...«
»Ja, ja, wie Sie wollen, wenn er nur in geweihte Erde kommt!« rief die arme Mutter und griff nach der Hand des Priesters, um sie zu küssen.
Gegen Mitternacht wurde von vier jungen Leuten, den vertrautesten Kameraden von Athanase, heimlich eine Bahre in die Pfarrkirche getragen. Es waren einige Freundinnen von Madame Granson zugegen, außerdem die sieben oder acht jungen Leute, mit denen der Dahingegangene befreundet gewesen war. Vier Fackeln erleuchteten die Bahre, die mit Trauerflor bedeckt war. Der Pfarrer las, von einem verschwiegenen Chorknaben bedient, die Totenmesse. Dann wurde der Selbstmörder geräuschlos in einer Ecke des Kirchhofes, wo ein schwarzes Kreuz ohne Inschrift der Mutter die Stelle anzeigte, begraben. Athanase lebte und starb in der Finsternis. Niemand klagte den Pfarrer an, der Bischof blieb still, die
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