Die alte Jungfer (German Edition)
Frömmigkeit der Mutter sühnte den Unglauben des Sohnes.
Einige Monate später, an einem Abend, wurde die arme Frau, die außer sich vor Schmerz war, von der unerklärlichen Begierde erfaßt, wie sie manchmal über die Unglücklichen kommt, den bitteren Kelch ihres Schmerzes bis zur Neige zu leeren, und sie machte sich auf, um die Stelle zu finden, wo sich ihr Sohn ertränkt hatte. Vielleicht meinte sie unter jener Pappel einen Hauch seines Geistes zu verspüren; vielleicht auch wollte sie vor Augen sehen, worauf ihres Sohnes Blicke zuletzt geweilt hatten. Es mag Mütter geben, die bei solchem Anblick vergehen würden, andere weihen den Ort zu einer Stätte der Anbetung. Die geduldigen Anatomen der menschlichen Seele können nicht oft genug die Wahrheiten wiederholen, an denen immer wieder die Erziehung, die Gesetze, die philosophischen Systeme zerschellen. Sagen wir es uns immer wieder: Es ist absurd, die Gefühle auf gleiche Formeln zu bringen; in jedem Menschen verbinden sie sich mit den ihm eigenen Elementen und nehmen seine Physiognomie an.
Madame Granson sah von weitem ein weibliches Wesen kommen, das, an der Unglücksstätte angelangt, ausrief: »Da ist es also!« Ein einziges Geschöpf weinte da, wie die Mutter weinte: es war Suzanne. Als sie des Morgens im »Hôtel du More« angekommen war, hatte sie von der Katastrophe erfahren. Wäre der arme Athanase am Leben geblieben, so hätte sie getan, wovon großherzige Menschen ohne Geld träumen und woran die Reichen niemals denken, sie hätte ein paar tausend Francs geschickt und dazu geschrieben: ›Die Schuld eines Kameraden Ihres Vaters, der sie Ihnen zurückerstattet.‹ Suzanne hatte sich diese engelhafte List auf ihrer Reise ausgedacht.
Die Kurtisane bemerkte Madame Granson und entfernte sich schleunigst, nachdem sie ihr gesagt hatte: »Ich liebte ihn!«
Treu ihrer Natur, verließ Suzanne Alençon nicht, ohne die Orangenblüten, die die Neuvermählte schmückten, in Seerosen zu verwandeln. Sie als erste erklärte, daß Madame du Bousquier immer nur Mademoiselle Cormon sein würde. So rächte sie mit einem Schlage Athanase und den teuren Chevalier de Valois.
Alençon war Zeuge eines auf andere Weise kläglichen, langsamen Selbstmordes, denn Athanase wurde bald von der Gesellschaft vergessen, die ihre Toten nicht lange beklagen will und kann. Der arme Chevalier de Valois starb bei Lebzeiten; er tötete sich vierzehn Jahre lang jeden Morgen. Drei Monate nach der Verheiratung Du Bousquiers bemerkte die Gesellschaft nicht ohne Erstaunen, daß die Wäsche des Chevaliers gelb wurde und daß seine Haare unordentlich gekämmt waren. Mit wirrem Haar existierte der Chevalier de Valois nicht mehr. Einige Zähne aus Elfenbein waren desertiert, ohne daß man entdecken konnte, in welchem Körper sie ihren Sitz gehabt, ob sie der Fremdenlegion oder den Eingeborenen angehört hatten, ob sie tierischen oder pflanzlichen Ursprungs waren, ob das Alter sie dem Chevalier geraubt oder ob er sie in der Schublade seines Toilettentisches hatte liegenlassen. Die Krawatte schlang sich um sich selbst ohne jeden Anspruch auf Eleganz. Die Negerköpfe verblaßten und wurden schmierig. Die Runzeln des Gesichts falteten und schwärzten sich, die Haut wurde wie Pergament. Die ungepflegten Nägel bekamen hier und da einen schwarzsamtigen Rand. Die Weste zeigte sich gefurcht von Nasentropfen, die herabgefallen waren wie Herbstblätter. Die Watte in den Ohren erneuerte er nicht mehr täglich. Traurigkeit lag auf seiner Stirn und gelbe Töne waren in seinen Runzeln. Kurzum, der künstlich zurückgehaltene Verfall zeichnete Sprünge in dieses schöne Gebäude, und man konnte sehen, eine wie große Macht die Seele über den Körper hat, da der Kavalier, der Blonde, der jugendliche Liebhaber starb, als die Hoffnung in die Brüche ging. Bis dahin hatte sich die Nase des Chevaliers in anmutiger Form präsentiert; niemals war ihr eine feuchte schwarze Masse, noch ein Bernsteintropfen entfallen; aber die mit Tabak beschmierte Nase, von der die Tropfen die Rinne hinunterliefen, die über der Oberlippe lag, diese Nase, die keinen angenehmen Eindruck mehr machen wollte, gab erst Aufschluß darüber, welch ungeheure Sorgfalt der Chevalier ehemals auf sich verwandt und mit welcher Beharrlichkeit er seine Absichten auf Mademoiselle Cormon verfolgt hatte. Vernichtet fühlte er sich durch einen Kalauer Coudrais', dessen Absetzung er übrigens bewirkte. Es war der erste Racheakt, den der sonst gutartige
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